Wie Unternehmen sich auf Krisen besser vorbereiten
Risiken gehören zum Unternehmertum untrennbar dazu. Die meisten werden durch die Funktionsbereiche in den Unternehmen gemanagt. Doch in jüngster Zeit vervielfachen sich die Herausforderungen und Krisen: sich schnell verändernde Marktszenarien, vielfältige Transformationsprozesse, dazu die Megathemen Nachhaltigkeit und KI, Neuordnungen bei den Lieferketten und der Energieversorgung – Unternehmen kommen aus dem Veränderungsmodus gar nicht mehr heraus. Derzeit scheint zu gelten: Nach der Krise ist vor der Krise.
Mit Szenario-Rechnungen versuchen die Unternehmenslenker*innen ihr Möglichstes, aber ein hohes unternehmerisches Restrisiko aus unvorhersehbaren Konstellationen bleibt. Die Konsequenz ist letzten Endes, eine hohe unternehmerische Resilienz als „Last Line of Defense“ aufzubauen. „Diese Resilienz ist also nicht mehr nur die Fähigkeit, Krisen zu überstehen. Sie versteht sich vielmehr als strategischer Imperativ zur strukturierten Vorbereitung auf das eigentlich Unvorhersehbare. Das gelingt über Abschichtung und Konsolidierung“, sagt Stefan Schmal, Partner bei Forvis Mazars in Deutschland. Schmal: „Gefragt sind unternehmerische und persönliche Steuerungs- und Anpassungskompetenz im Rahmen eines effektiven Governance-Modells unter der Prämisse des Möglichen: just in case.“
Wie aber schafft man diesen permanenten Umgang mit der nächsten Krise, mit dem nächsten großen Risiko? Wie bringen Manager*innen ihre Mitarbeiter*innen dazu, etwas zu erkennen, bevor es eintritt, statt verspätet zu reagieren? Wie lernt man, in Wahrscheinlichkeiten und Eventualitäten zu denken, ohne eine lähmende Risikohaltung einzunehmen?
„Trotz schwieriger Marktbedingungen investieren viele deutsche Unternehmen weiter in den Ausbau integrierter Resilienz-Programme, weil sie erkannt haben, dass sie immensen Nachholbedarf haben“, erläutert Stefan Schmal.
Mit Ungewissheit leben lernen, Zukünftiges erkennen, bevor es eintritt, ins Offene planen – für Gerd Gigerenzer sind das unternehmerische Tugenden. Der renommierte Psychologe, seit 2020 Direktor des „Harding-Zentrums für Risikokompetenz“ an der Universität Potsdam, empfiehlt Manager*innen eine Risikokalkulation und eine Priorisierung von Wahrscheinlichkeiten. Gigerenzer rät zu einem mehrstufigen Verfahren, um Unternehmen und Management resilienter zu machen. Dazu gehört unter anderem:
- Vorausschauend planen. Bestehende Prozesse sollten als Grundlage für Stresstests zur Schaffung einer Resilienz-Plattform dienen, auf welcher zukünftige Veränderungen und Ereignisse durchgespielt werden können. Auch Planungshorizonte sind für Wesentlichkeitsbetrachtungen und Tragfähigkeitsanalysen von zentraler Bedeutung.
- Resilienz-Felder beispielsweise erkennen, auf denen Spielräume für unternehmerisches Handeln entwickelt werden können.
- Um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern, sollten Task Forces etabliert werden, die sich bestimmten Risiko-Themen widmen und strategische Optionen entwickeln.
- Schutz und Prävention kommen als Klammerfunktion eine zentrale Wirkung im Sinne einer funktionalen, aber auch geschäftsbereichsspezifischen Risikovermeidung oder -reduktion zu. Cyber-Sicherheit, das Ausschließen bestimmter Geschäfte oder Geschäftsfelder oder eine veränderte Haltung des Unternehmens und der Mitarbeiter*innen sind ebenso wie proaktive Wertekommunikation Mechanismen, die hilfreich sind.
- Veränderte Planungshorizonte und die Erhöhung von Wesentlichkeitsbetrachtungen verbessern ebenfalls die Resilienz. Ein gelungenes Beispiel liefert der Verzinkungsspezialist The Coatinc Company. Das 1502 in Siegen gegründete Familienunternehmen wird von Paul Niederstein in der 17. Generation geführt. Um das Unternehmen auch kurzfristig auf veränderte Marktbedingungen einzustellen, erstellt Niederstein einen Dreijahresplan für die normale Geschäftsentwicklung und einen Fünfjahresplan für größere Investitionen. Die Geschäftsführung gleicht den Doppelplan laufend mit der Realität ab. Heraus kommt dabei ein institutionalisiertes Frühwarnsystem.
Es besteht aus einer internen Kontrollaufsicht, die vor allem zwei Kennzahlen im Auge hat: die Eigenkapitalquote und den dynamischen Verschuldungsgrad. Sinkt die Eigenkapitalquote unter 40 Prozent oder steigt der dynamische Verschuldungsgrad über den Wert zwei, werden die Jahrespläne angepasst und vorgesehene Investitionen vorerst zurückgehalten. „Auch wenn wir die Krise nicht kennen, die uns morgen oder übermorgen erreicht“, sagt Niederstein, „dank unserer internen Governance haben wir immer Luft zum Atmen.“
Unternehmen sollten in ihre Fähigkeit investieren, sich an schnell ändernde Umwelten anzupassen und so Disruption nachhaltig standzuhalten. Neben einem integrierten Resilienz-Ansatz wird hierfür die Stärkung des vorhandenen Risiko- und Krisenmanagements sowie ein funktionierendes Business Continuity Management benötigt.
Mit einem etwas veränderten Ansatz versucht der Automobilzulieferer Voltaira, Krisen zu meistern. Die rund 7.000 Mitarbeiter*innen arbeiten an 16 Standorten in 12 Ländern. Mitarbeiter*innen verschiedener Nationalitäten erwerben in einem Talentprogramm psychologische und verhaltensökonomische Grundkenntnisse. Sie reisen an die Standorte des Unternehmens, lernen verschiedene Arbeitskulturen, Denkmuster und Herangehensweisen kennen. Aus diesen Erfahrungen heraus berät das Mitarbeitenden-Gremium das Management bei der jährlichen Evaluation der Projekte und Prozesse im Unternehmen.
In beiden Fällen entsteht daraus ein robustes Risikomanagement. Psychologe Gigerenzer hat solche Risikovorsorgen selbst schon mit Unternehmen erarbeitet.
Dies kann dabei helfen, die Integration von Kernkompetenzen im Bereich Resilienz voranzutreiben. „Aufsatzpunkt hierfür ist ein Resilience Health Check, bei dem der Status quo des Unternehmens unter die Lupe genommen und der Reifegrad der strategischen, operativen und finanziellen Resilienz bestimmt wird“, erläutert Stefan Schmal. Unter zur Hilfenahme von Good-Practice-Empfehlungen folgt die Entwicklung der Resilienz-Strategie und des zugrunde liegenden Target-Operating-Modells (TOM). „Um die definierten Ziele zu erreichen, werden die Lücken zwischen den Möglichkeiten existierender Prozesse und dem Erwartungshorizont über die Ausarbeitung einer Case-basierten Roadmap geschlossen“.
Wie das Beispiel Voltaira zeigt, ist die Entwicklung einer hohen Unternehmensagilität aber keine reine Managementaufgabe. Die Mitarbeiter*innen sollten immer einbezogen werden. Mobile Taskforces, denen Vertreter*innen des Managements, der Belegschaft und externe Spezialist*innen angehören, machen ein Unternehmen resilienter.
Anpassung ist viel mehr als die Kunst der Krisenreaktion. Sie ist immer auch eine Kunst der Inspiration – und der betrieblichen Neuinszenierung.
Viele Unternehmen sind bei der Evolution ihres Geschäftsmodells zurückhaltend. Manager*innen sollten sich fragen: „Was, wenn das Kerngeschäft ausfällt? Wie viel Umsatz bricht dann weg?“ Intelligente Kollaborationen rücken mehr und mehr in den Vordergrund. Besser, man ist vorbereitet.