Start-up-Legende Josef Brunner im Interview: „neue Ära der Gründer*innen“
Josef Brunner ist einer der wenigen dauerhaft erfolgreichen Tech-Unternehmer aus Deutschland. Mit 16 brach er die Schule ab, gründete eine IT-Sicherheitsfirma, die er zwei Jahre später wieder veräußerte, und kaufte mit einem Teil des Erlöses seinen Eltern ein Haus. Bis heute hat Brunner, inzwischen 42 Jahre alt, fünf Firmen gegründet – und etwa JouleX an Cisco und Relayr an die Munich Re für zwei- und dreistellige Millionenbeträge verkauft. Auf die aktuelle Wirtschaftsmisere reagiert Brunner mit dem ihm ureigenen Optimismus und einem klaren Programm: frischer Gründungsgeist, Fokussierung auf wenige Zukunftsbranchen, radikaler Bürokratieabbau. Auch vom zukunftsorientierten Miteinander von Vorstand und Aufsichtsrat hat das Board-Mitglied Brunner im Interview eine klare Vorstellung.
Herr Brunner, die Fußball-Europameisterschaft ist gerade vorbei, die deutsche Mannschaft hat sich achtbar geschlagen. Angenommen, Sie wären Bundestrainer und die deutsche Wirtschaft wäre Ihr Team. Wie sähe Ihre optimale Aufstellung für die Zukunft aus?
Ich würde mir erst einmal gründlich die Taktik überlegen. Davon ist abhängig, wen ich aufstelle, oder übertragen auf die Wirtschaft: auf welche Zukunftsbranchen ich setze. Was möchte ich künftig mit der Mannschaft, also dem Standort, noch erreichen? Sehe ich die Chance eher in der Offensive, in neuen Technologien? Oder mehr im Bewahren des Status quo – setze ich also auf eine starke Abwehr, Protektionismus und damit den Bus vor dem eigenen Tor?
Angriff ist bekanntlich die beste Verteidigung. Welche drei Branchen in Deutschland besitzen Ihrer Meinung nach das größte Potenzial?
An allererster Stelle der Energiesektor. Das ist ein sehr facettenreiches Thema, von der Energie-Erzeugung über den -Transport bis hin zur effizienten Nutzung von Energie. Diese kann ich mir sehr gut als Gravitationszentrum vorstellen. Leider hat sich Deutschland auf politischen Beschluss hin von der Kernenergie abgewendet. Dabei könnten die neuen Formen der Fusionsenergie nicht nur das Energieproblem im Hochstromland Deutschland lösen, sondern zugleich unseren Kohlendioxid-Fußabdruck signifikant senken, ohne Atommüll zu erzeugen. Doch dieser Zug scheint abgefahren. Andere Länder, allen voran die USA, sind uns hier Lichtjahre voraus. Ein zweites Thema wäre die Ernährung. Das ist ein sehr spannendes und global noch nicht sonderlich besetztes Thema im Vergleich zu Technologie und Digitales, wo wir den Vorsprung der US-Amerikaner und Chinesen kaum mehr werden wettmachen können. Milliarden von Menschen sind dabei, ihr Ernährungsverhalten zu ändern. Das dritte Thema wäre Medizin: Wie können wir das Leben verlängern, aber auch länger lebenswert machen? Das ist ein unglaublich spannendes neues Marktsegment mit einer wohlhabenden Schicht von Konsument*innen auf allen Kontinenten. Was wir brauchen, ist eine schnelle und gründliche Antwort auf die Frage: Was für eine Volkswirtschaft wollen wir künftig sein? Alles Alte zu erhalten und zugleich Neues zu erobern, das wird schlicht nicht möglich und finanzierbar sein. Am Ende werden wir hier in Deutschland sehr harte Entscheidungen fällen und uns aus bestimmten, nicht mehr wettbewerbsfähigen Branchen verabschieden müssen.
Sie selbst sind als Tech-Unternehmer erfolgreich und groß geworden. Wie stark sind wir hier am Standort in Sachen IT und vor allem KI? Spielen wir da noch in einer Liga mit den USA oder China?
Bei der Basisentwicklung ist der Zug schon länger abgefahren. Das holen wir nicht mehr auf. Müssen wir meines Erachtens aber auch nicht. Jetzt geht es darum, die KI-Technologie gewinnbringend einzusetzen – etwa in der Industrie oder vor allem der Medizin. Diese Chance müssen wir mit unserem Know-how, unserem Ingenieur-Gen und unseren überragenden Forschungseinrichtungen samt rund 100 Jahren Grundlagenforschung jetzt konsequent nutzen. Wir sind als Anwendernation stark. Unsere Schwächen bei der Entwicklung machen wir nicht mehr wett. Da fehlen uns ein bis zwei Generationen an Unternehmer*innen.
Sie sind Anfang 40, blicken aber bereits auf rund ein Vierteljahrhundert Unternehmergeschichte zurück. Was hat sich seit Ihren Anfangsjahren als Jungunternehmer an der Start-up-Kultur hierzulande verändert?
Als ich begonnen habe, gab es den Begriff der Start-ups noch gar nicht. Das war alles noch sehr rudimentär und sehr „hands-on[IW3] “, mit einer gewissen Romantik verbunden. Heute ist viel mehr Kapital im Markt. Und es gibt viel mehr Mitarbeiter*innen, die ein Start-up mit aufbauen wollen. Das war damals anders: Da wollten alle nur zu Siemens. Das Umfeld hat sich komplett gedreht – mit all den Business-Schools oder Förderprogrammen. Eigentlich ist alles bereitet für eine neues Zeitalter der Gründer*innen in Deutschland.
Woran hapert es dann, wenn die Voraussetzungen doch so gut sind?
Ein großer und leider immer größer werdender Schmerzpunkt vieler Start-ups und etablierter Unternehmen ist das Ausmaß der Bürokratie. Am härtesten trifft es die Unternehmen, die wenig finanziellen Spielraum haben. Ein kleiner Mittelständler wird von der Bürokratielast viel stärker getroffen als ein DAX-Konzern mit entsprechenden Stäben, die sich um all die Verordnungen und Vorschriften kümmern können. Ich stamme selbst aus einer Bäcker-Familie und bin regelrecht erschüttert, was jemand, der eigentlich nur solide Brötchen und Brot herstellen möchte, alles an Nachweisen erbringen muss. Gefühlt verbringt ein Bäckermeister heute 60 Prozent der Zeit mit dem Ausfüllen irgendwelcher analogen oder digitalen Formulare – vom selbstverständlich wichtigen Lebensmittelrecht bis hin zur Arbeitszeiterfassung. All das ist ohne Frage relevant, nur das Verhältnis zwischen produktiver und nicht produktiver Arbeit stimmt einfach nicht mehr. Wir regulieren uns in nahezu jedem wirtschaftlichen Feld zu Tode. Ein zweites konkretes Beispiel ist die Migration. Wir haben hierzulande bereits heute einen extrem großen Fachkräftemangel, über den wir gefühlt seit 20 Jahren reden. Zugleich haben wir viele zugewanderte oder geflüchtete Menschen, die in Wohnzentren hocken und zum Nichtstun verdonnert sind. Das ist für die Menschen schlecht und volkswirtschaftlich betrachtet purer Wahnsinn.
Was hilft gegen die überbordende Bürokratie?
Ein radikaler Schnitt. Entzieht der Politik das Geld. Mit dem dann notwendigen Personalabbau kommt dann auch der Bürokratieabbau.
Schwer vorstellbar. Sonst noch Vorschläge?
Warum streichen wir nicht einfach x Prozent aller Verordnungen und Gesetze? Oder halten uns immerhin streng an die Regel „One in, one out“? Dabei muss für jede neue Vorgabe eine bisherige gestrichen werden, damit unter dem Strich die Bürokratielast zumindest nicht weiter zunimmt.
Ihre aktive Unternehmerkarriere ist mit Anfang 40 für den Moment Geschichte. Insgesamt haben Sie fünf Unternehmen gegründet, verkauft und teils an die Börse gebracht. Warum haben Sie es nirgendwo lange ausgehalten?
Ich bin ein umtriebiger Mensch. Aber tatsächlich ist das wohl rückblickend mein größter Fehler gewesen, den hierzulande übrigens viele begehen: zu schnell auszusteigen. In den USA etwa bleiben die Gründer*innen vergleichsweise lange in ihren Firmen, sehen sie richtig groß werden und steigen, wenn überhaupt, erst spät aus. Das würde ich heute tatsächlich anders handhaben.
Diese Chance kann wiederkommen. Aktuell sind Sie vor allem Aufsichts- und Beirat in insgesamt drei Unternehmen. Wie definieren Sie da Ihre Rolle?
Zu Beginn eines Mandats versuche ich stets, mit dem oder der CEO und dem erweiterten Management das strategische Zielbild zu erarbeiten – den Nordstern. Das halte ich für die mit Abstand wichtigste Aufgabe im Aufsichtsrat, weil das Managementteam speziell bei etablierten Unternehmen sehr im Markt gefangen ist und selten den frischen Blick von außen hat. Wenn das Zielbild definiert ist, lässt sich es leicht runterbrechen in konkrete Schritte: Was brauchen wir, um zum Ziel zu gelangen? Wo müssen wir investieren und wo deinvestieren?
Doch tiefer ins Operative dringe ich nie ein. Das ist definitiv keine Aufgabe für den Aufsichtsrat. Vielmehr sehe ich mich als Mentor und Sparringspartner. Und das dann in einem dauerhaften Dialog. In einer Zeit der radikalen und schnellen Transformation können sich Aufsichtsrät*innen nicht mehr nur vier Mal im Jahr treffen. Das reduziert den Aufsichtsrat auf ein rein regulatives Überwachungsorgan, was dem Unternehmen keinen Mehrwert bringt.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Zusammensetzung eines Aufsichtsrats für dessen Erfolg?
Eine entscheidende. Ich dränge darauf, Aufsichtsräte möglichst vielfältig zu besetzen. Meistens sind im Aufsichtsrat die Graurücken – und die jungen Wilden in den Vorständen. Diese Verteilung macht Sinn. Nur müssen die Graurücken neben ihrer langjährigen Erfahrung auch fachlich fit sein und verstehen, was das Unternehmen und das Management umtreibt. Der optimale Aufsichtsrat ist damit fachlich das Spiegelbild zur Zusammensetzung des Vorstands. So hat jede*r Mentee eine*n Mentor*in auf Augenhöhe.