„ESG muss zur DNA der drei Kontrollinstanzen werden“

Patrick Velte, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Leuphana Universität Lüneburg, hat zusammen mit Doktorand Christoph Wehrhahn untersucht, wie gut das Zusammenspiel der drei unternehmerischen Überwachungsinstanzen – Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer und Interne Revision – funktioniert. Im Interview mit dem Board Briefing ordnet er die Studienergebnisse ein – und erklärt vor allem, an welchen Stellen das Zusammenspiel besser werden muss.

Herr Professor Velte, warum haben Sie sich in Ihrer Studie auf das Thema ESG fokussiert?

Das Thema erschien uns methodisch geeignet, weil es gerade aus dem Blickwinkel deutscher Unternehmen eine zunehmende Regulierung betrieblicher Nachhaltigkeitspflichten gibt. Zur neuen EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) kommen die EU-Taxonomie-Verordnung und auf nationaler Ebene das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinzu. Letzteres wird nun durch das EU-Pendant, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), ergänzt. Diese Regulierungsdichte hat starke Auswirkungen auf das Besetzungs- und Aufgabenprofil von Aufsichts- und Beirat, inklusive der Prüfungsausschüsse, der Internen Revision und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Durch die Regulierungen wird eine bessere Kooperation zwischen diesen Playern erfolgskritisch sein.

Was soll daran neu sein? Die Zusammenarbeit zwischen diesen drei Instanzen ist seit jeher ein Erfolgsfaktor.

Das schon, allerdings sieht es in der Realität häufig anders aus als in einer theoretischen Wunsch-Sichtweise. War die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat, Interner Revision und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft traditionell auf die Finanzberichterstattung beschränkt, so ergibt sich durch die ESG-bezogenen Überwachungs- und Prüfungspflichten nun eine Ausweitung der Zusammenarbeit. Das ist vor allem deswegen eine Herausforderung, weil insbesondere der Aufsichtsrat über ein begrenztes Ressourcenpotenzial verfügt. Das Gremium muss bei der Überwachung der Nachhaltigkeitsberichte und der dahinterliegenden Managementsysteme durch die Zuarbeit der Internen Revision und der Wirtschaftsprüfer bestmöglich unterstützt werden.

Ein Ergebnis Ihrer Studie ist, dass alle drei Parteien Defizite bei den erforderlichen Kompetenzen für die Bereiche Umwelt und Soziales haben. Warum ist das so? Und was muss sich ändern?

Wie bereits gesagt, haben sich die Überwachungs- und Prüfpflichten der drei Parteien lange Zeit auf die Finanzberichterstattung und die damit zusammenhängenden Managementsysteme fokussiert. Insofern war es logisch, dass der EU-Richtliniengeber lediglich entsprechende Finanz- und Branchenexpertise im Aufsichtsrat beziehungsweise im Prüfungsausschuss bei Unternehmen des öffentlichen Interesses vorgeschrieben hatte. Nach dem Wirecard-Skandal hatte der deutsche Gesetzgeber die Finanzexpertise im Aufsichtsrat erhöht. Nachhaltigkeitsexpertise ist bislang nicht gesetzlich für den Aufsichtsrat kodifiziert. Zwar sieht der Deutsche Corporate Governance Kodex eine Empfehlung für börsennotierte Aktiengesellschaften vor, Nachhaltigkeit im Kompetenzprofil des Aufsichtsrats zu verankern. Auch schreibt die Non-Financial Reporting Directive vor, dass der Aufsichtsrat nichtfinanzielle Erklärungen oder freiwillige Nachhaltigkeitsberichte inhaltlich prüfen muss. Nun wächst durch die Regulatorik jedoch der Druck, im Gremium spezifische Umwelt- und Sozialexpertise entlang der EU-Taxonomie-Ziele auf- und auszubauen. Für die Interne Revision sind bislang keine besonderen Expertisen gesetzlich vorgeschrieben.

In Ihrer Umfrage gaben die Teilnehmer*innen aller drei Parteien an, dass sie mit mittlerer bis hoher Wahrscheinlichkeit Personen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund zur Überwachung umweltbezogener Informationen einstellen und entsprechende externe Expertise in Anspruch nehmen wollen. Warum verfolgt vor allem der Aufsichtsrat angesichts der von Ihnen beschriebenen Ressourcenknappheit nicht einen diverseren Ansatz?

Meiner Einschätzung nach werden alle drei Player insbesondere bei der Überwachung beziehungsweise Prüfung von Umweltinformationen und dahinterliegenden Prozessen nicht umhinkommen, entweder externe Profis für Umweltgutachten oder -beratung zu engagieren und/oder die naturwissenschaftliche Kompetenz durch Einstellung entsprechender Vollzeitkräfte zu gewährleisten. Dies wird insbesondere bei mittelständischen Unternehmen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften schwierig sein, etwa vor dem Hintergrund der Knappheit von Fachkräften in den MINT-Fächern. Wichtig erscheint mir der Aufbau von strategischen Kooperationen zwischen mittelständischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und externen Fachleuten für Umweltgutachten. Nach dem aktuellen Referentenentwurf für eine CSRD-Umsetzung soll die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung eine Vorbehaltsaufgabe der Wirtschaftsprüfungsfirmen werden. Es wird nicht genügend kompetentes Personal im Berufsstand kurzfristig zur Verfügung stehen, um die Berichte von etwa 15.000 Unternehmen in Deutschland zu prüfen. Hinzu kommt, dass bis 2028 nur eine Prüfung mit begrenzter Sicherheit für die Nachhaltigkeitsberichte erfolgen muss und wir bislang noch keinen EU-weiten Prüfungsstandard haben. Die Prüfungsqualität wird damit in den kommenden Jahren leider weniger vergleichbar und geringer ausfallen als bei der Finanzberichterstattung.

Eine Schlussfolgerung von Ihnen ist, dass verbesserte Kommunikation und ein verstärkter Informationsaustausch zwischen allen drei Parteien die Zusammenarbeit intensivieren könnte. Wird zu wenig miteinander geredet? Und wenn ja: Warum ist das so?

Meiner Meinung nach ist es eine große Herausforderung, dass die Interne Revision bislang nicht regelmäßig eine vollständige Überwachung des Internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems auf Angemessenheit und Wirksamkeit durchführt. Bei mittelständischen Unternehmen existieren derartige Managementsysteme teilweise gar nicht, weil diese nur für börsennotierte Aktiengesellschaften gesetzlich eingefordert werden. Nach meinen Erfahrungen wurden diese Systeme daher bei nicht börsennotierten Unternehmen lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt. Durch die neuen EU-Regulierungen ergibt sich eine wesentliche Ausweitung gerade auf den Mittelstand. Dennoch wird in den Details die Kooperation der drei Parteien gesetzlich nur partiell ausgebaut. Es gibt somit Potenzial, diese Lücken durch intensivere Kommunikation zugunsten der Effizienz und der Ergebnisqualität zu füllen.

Sie schreiben: „Die Wirtschaftsprüfer können den Aufsichtsrat entlasten, indem sie Risiken, Prüfungsschwerpunkte oder Prüfungsbereiche koordinieren oder abgestimmte Prüfungen der internen Corporate-Governance-Systeme durchführen.“ Kann denn der Aufsichtsrat der Wirtschaftsprüfungsfirma einfach so reinreden, was diese zu prüfen hat?

Einfach so – das hört sich etwas übergriffig an. Der Aufsichtsrat kann jederzeit entweder den bestellten Abschlussprüfer oder einen anderen Wirtschaftsprüfer darum bitten, die Angemessenheit und/oder Wirksamkeit etwa des Risikomanagementsystems und auch des Internen Revisionssystems im Rahmen eines zusätzlichen Auftrags zu prüfen. Hiervon machen in zunehmendem Maße börsennotierte Unternehmen hierzulande Gebrauch. Hierdurch erhöht der Aufsichtsrat die Sicherheit, dass die Qualität der Managementsysteme angemessen ist. Die Unterstützungsfunktion des Wirtschaftsprüfers wird durch diese freiwilligen Prüfungshandlungen erhöht. Denn der Aufsichtsrat ist seinerseits ja auch verpflichtet, diese Managementsysteme zu überwachen und die daraus abgeleiteten Finanz- und Nachhaltigkeitsberichte zu prüfen. Daher spreche ich mich dafür aus, dass die Prüfung des gesamten internen Kontroll- und Risikomanagementsystems sowie der Internen Revision durch den Wirtschaftsprüfer, idealerweise durch den bestellten Abschlussprüfer, künftig eine „Best Practice“ bei Unternehmen ist, die zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind.

Ein bemerkenswertes Ergebnis Ihrer Umfrage ist, dass die Mehrheit der Teilnehmer*innen auf die Frage, was die Zusammenarbeit verbessern würde, auf den notwendigen Kompetenzaufbau und Fortbildungen bei den jeweils anderen Parteien verwiesen hat. Wenn jeder auf den anderen zeigt, ist das doch mehr Blockade als konstruktiver Fortschritt. Wie lässt sich diese Haltung auflösen?

Allen drei Parteien sollte bewusst werden, dass ESG zur DNA ihres Kompetenz- und Tätigkeitsprofils werden muss. Primär die Umweltinformationen sind sehr herausfordernd, komplex und subjektiv. Um etwa den gesetzlich geforderten Impact der Geschäftstätigkeiten auf Umwelt und Soziales zu quantifizieren, sind tiefgreifende betriebswirtschaftliche ebenso wie naturwissenschaftliche Kenntnisse relevant, um zu beurteilen, woher die Daten etwa aus dem Controlling, den Managementsystemen und dem Einkauf kommen und was sie aussagen. Alle Beteiligten tun also gut daran, bei sich selbst anzufangen und die eigenen Kompetenzen so gut wie möglich zu stärken, um im Ergebnis die Qualität der Nachhaltigkeitsberichte und das Controlling der ESG-Aktivitäten zu verbessern.

Was folgt jetzt aus Ihrer Studie für den Aufsichtsrat?

Da seit Jahren kontrovers diskutiert wird, in welchem Umfang der Aufsichtsrat überhaupt in der Lage ist, die ESG-Überwachung durchzuführen, sollte das Gremium selbst aktiv werden und einerseits den Austausch mit der Internen Revision und den Verantwortlichen der anderen Managementsysteme stärken. Andererseits sollte er verstärkt freiwillige Prüfungen der internen Corporate-Governance-Systeme durchführen lassen. Neben der eigenen Fortbildung im Bereich Umwelt und Soziales sollten externe Gutachten-Profis hinzugezogen werden, um die Umweltinformationen zu verifizieren. Zudem werden viele Firmen Unterstützung benötigen bei der Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte nach den neuen EU-Richtlinien. Das ist eine Mammutaufgabe primär für Unternehmen, die bislang keinen Nachhaltigkeitsbericht verfasst und keine ESG-Managementsysteme implementiert haben.

Woran werden Sie als Nächstes forschen?

Wir möchten in diesem Jahr die Geschäftsberichte deutscher börsennotierter Unternehmen zur Ausgestaltung der ESG-bezogenen Managementsysteme und ihrer Überwachung durch Interne Revision, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer detailliert untersuchen. Wenngleich die Angaben zu ESG-bezogenen Managementsystemen erst durch die EU-Vorgaben ab 2025 verpflichtend werden, hoffen wir, dass Unternehmen proaktiv bereits hierüber für das Geschäftsjahr 2023 berichten, um eine entsprechende Signalwirkung bei den Stakeholdern zu erzeugen.

Zur Person

Prof. Dr. Patrick Velte ist Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre, insb. Accounting, Auditing & Corporate Governance, an der Leuphana Universität Lüneburg und unter anderem Mitglied des Arbeitskreises Corporate Governance Reporting der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V.