Digitale Expertise dringend gesucht
In den Aufsichtsräten der überwiegend meisten Familienunternehmen in Deutschland sind Digital Natives dramatisch unterrepräsentiert. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Strategieberatung OMMAX im vergangenen Jahr durchgeführt hat. Demnach verfügen vier von fünf (83 Prozent) der Mitglieder in den Kontrollorganen nicht über die notwendigen digitalen Kenntnisse und Erfahrungen, um den Transformationsprozess ihres Unternehmens kompetent zu begleiten und zu kontrollieren. Im Rahmen der Studie hatten die OMMAX-Experten 919 Profile deutscher Aufsichtsräte der 150 größten und umsatzstärksten Familienunternehmen in Deutschland analysiert und auf digitale Kompetenz, Transformationserfahrung in ähnlichen Unternehmen oder den Wechsel aus einem führenden Technologieunternehmen untersucht.
Auch Pandemie brachte keinen Digitalisierungsschub
„Wirklich erschreckend an diesem Ergebnis ist die Tatsache, dass es gegenüber unserer ersten Untersuchung zwei Jahre zuvor nur eine marginale Verbesserung der Negativquote um einen Prozentpunkt gibt“, sagt Stefan Sambol, Managing Partner bei OMMAX, der die Studie mitverantwortet hat. „Aufgrund der Folgen der Pandemie hätte ich eine ganz andere Entwicklung erwartet.“
Mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren sind die Aufsichtsräte der für die Studie untersuchten Unternehmen bestenfalls Digital Adopter. Dies spiegelt sich auch in ihrer eigenen digitalen Präsenz wider. „Ganze 37 Prozent der Aufsichtsräte haben überhaupt keine“, stellt Sambol fest. Ohne auf Plattformen wie LinkedIn oder Xing aktiv zu sein, fehlt jedoch vielen aus dieser Gruppe der Einblick in die digitale Welt und der Austausch über aktuelle Themen und Trends. Die magere Online-Präsenz ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Vielmehr ist es insgesamt die geringe Affinität zu neuen Technologien und Entwicklungen, welche die langfristige Überlebensfähigkeit von Unternehmen gefährdet. Die Aufsichtsräte werden somit ihrer Rolle und Verantwortung nicht gerecht. Sambol: „Digitale Tools und Kennzahlen, wie Dashboards oder Onlineplattformen, sind wichtige Hilfsmittel, um digitale Veränderungsprozesse und Geschäftsaktivitäten mitverfolgen zu können. Digital Measuring zum Beispiel ist vielen Aufsichtsräten unbekannt; dementsprechend können sie nur schwer beurteilen, wie nachhaltig oder ertragreich bestimmte digitale Aktivitäten ihres Unternehmens sind. Bleiben Aufsichtsräte in ihrer analogen „Bubble“, so verpassen sie den Anschluss an wichtige digitale Trends, die jetzt und in den kommenden Jahren absolut entscheidend sein werden – weitere Stichworte sind hier beispielsweise KI und Cyber Security.“
Wandel vollzieht sich zu langsam
Frische Ideen in das Kontrollorgan bringen am ehesten personelle Neuzugänge mit. Doch auch auf dieser Ebene ist die Dynamik zu schwach ausgeprägt, um das digitale Know-how zeitnah auszubauen. Der Studie zufolge wurde seit 2020 in den Aufsichtsräten der untersuchten Unternehmen rund ein Siebtel der Mitglieder (13,5 Prozent) neu gewählt. Davon brachte jedoch nur ein Viertel (24 Prozent) digitale Expertise oder Transformationserfahrung in ähnlichen Unternehmen mit oder hatte zuvor Erfahrungen in einem führenden Technologieunternehmen gesammelt. Dieser Trend zeigt für Sambol: „Es gibt ein Umdenken, aber das passiert viel zu langsam. Viel zu häufig bleibt es bei den überkommenen Strukturen eines Best-Buddy-Clubs.“
Der Digitalexperte fürchtet daher, dass der deutsche Mittelstand an Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten verliert. „In D2C-Geschäftsmodellen spielt Deutschland schon überhaupt keine Rolle mehr. In den B2B-Geschäftsmodellen, ob es jetzt Manufacturing oder Services ist, haben wir zwar noch Hidden Champions. Aber ich sehe die Gefahr, dass viele Firmen überrollt werden von Software-Konzernen, die aus dem Ausland kommen, wenn sie sich nicht schnell bewegen. Dann liefern sie vielleicht noch das Produkt, aber nicht mehr die Technologie, und die Softwareunternehmen setzen sich mit ihren Lösungen zwischen die Kunden und den Produzenten. Gerade Traditionsunternehmen kommen mit ihren schwerfälligen Prozessen häufig nicht gegen die Geschwindigkeit und agile Try-and-Error-Mentalität an.“
Hauseigene IT erweist sich oft als Flaschenhals
Ein Paradebeispiel, wo es bei der internen Digitalisierung hapert: die Struktur der hauseigenen IT. „Die beste Digitalstrategie nützt mir nichts, wenn beispielsweise die Kundendaten über zehn Silos verteilt sind“, weiß Sambol. Wo kommt der Kunde her? Was hat er sich angeschaut? Was hat er am Ende gekauft? Wie viel verdiene ich mit ihm? Was kann ich ihm noch verkaufen? All diese Informationen basieren auf systematischer Datenanalyse und können heute automatisiert gesammelt, ausgewertet und für die Ableitung von Handlungsempfehlungen genutzt werden. „Wenn ich das nicht über die entsprechenden Technologien und Systeme begleiten kann, werde ich auf Dauer nicht erfolgreich sein. Eng damit zusammen hängt das Themenfeld digitale Produkte und Geschäftsmodelle – und dann kommt auch die Governance ins Spiel“, meint Sambol. „Wie kann ich sicherstellen, dass die Geschäftsführung die richtigen Entscheidungen trifft und dafür die richtigen Kennzahlen betrachtet und interpretiert? Bei den Kontrolleuren fehlt aber gerade das Wissen um digitale KPIs, wenn es gilt, digitale Geschäftsmodelle zu diskutieren. Das kann für das Unternehmen zum existenziellen Risiko werden.“
Stefan Sambol empfiehlt daher mittelständischen Firmen, auf Beiratsebene ein Digital Board einzurichten. „Über externe Experten, mit denen dieses Digital Board besetzt wird, kann ich mir technologisches Know-how und Transformationsexpertise ins Haus holen und damit Kompetenzlücken systematisch auffüllen“, erläutert Sambol das Konzept. „Wichtig ist andererseits aber auch, dass der CEO, Gesellschaftervertreter und digitale Talente aus dem Unternehmen in dem Gremium vertreten sind, die die internen Prozesse und Strukturen kennen.“ Das Gremium kann auf seinen regelmäßigen Treffen (zum Beispiel monatlich) den digitalen Kurs des Unternehmens kalibrieren und analysieren. Dabei hilft auch der Blick auf externe Lösungen und Best Practices. „Viele Finanzinvestoren holen sich Technologieexperten ins Haus und bauen damit Digital-Value-Creation-Teams auf, die dann in die Zielunternehmen gehen und die Transformation vorantreiben“, weiß Sambol. „Dieses Modell ist im Mittelstand, wo wir sehr häufig familiäre Strukturen haben, nicht umsetzbar. Aber es lassen sich hybride Lösungen finden, auf deren Implementierung sich Management und Aufsichtsrat dann konzentrieren müssen.“
Zur Person: Stefan Sambol ist Partner und Co-Founder bei der Digitalberatung OMMAX. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler unterstützt unter anderem Finanzinvestoren bei der Akquisition und Bewertung von digitalen Geschäftsmodellen und der Einschätzung von Wertpotenzialen.