Unternehmensnachfolge: die Kunst der Staffelübergabe
In den kommenden Jahren wird das Thema Nachfolge in der deutschen Wirtschaft zunehmend an Brisanz gewinnen: Die Anzahl der Unternehmen mit Inhaber*innen, die älter als 60 Jahre sind, steigt kontinuierlich. Gegenwärtig entfallen auf diese Altersgruppe einer KfW-Studie zufolge bereits 31 Prozent der Unternehmerschaft. Demgegenüber ist nur noch jeder*jede zehnte Inhaber*in unter 40 Jahre alt. „Das Unternehmen an einen*eine Nachfolger*in zu übergeben, wird für viele Eigentümer*innen zu einer Herausforderung“, sagt Bernd Schult, Rechtsanwalt und Steuerberater bei Forvis Mazars in Deutschland. „Aufsichtsräte und auch Beiräte sollten diesen Prozess auf Gesellschafterebene begleiten und gegebenenfalls moderieren.“
Überlegt vorgehen statt Ad-hoc-Entscheidungen treffen
Expert*innen sind sich einig: Damit die Unternehmensnachfolge erfolgreich gelingt, bedarf es weitsichtiger und sorgfältiger Planung. Dabei gilt der Grundsatz: Je früher sich die aktuelle Unternehmensführung mit dem Thema Nachfolge befasst, desto besser. Als Faustregel für einen geordneten Übergang gilt ein Zeitraum von drei bis fünf Jahren. „Ein langfristiger Zeithorizont und ein durchdachtes Konzept verhindern, dass man auf dem Weg zur Nachfolgeregelung wichtige Aspekte vergisst – und davon gibt es sehr viele“, betont Catarina Herbst, Fachanwältin für Steuerrecht bei Forvis Mazars in Deutschland. „Innerfamiliäre Probleme sollten zeitnah angegangen werden. Weiterhin muss geklärt werden, ob eine rein familieninterne Nachfolge sinnvoll ist oder ob ein externer Investor benötigt wird“, so die Expertin.
Damit spricht Herbst die entscheidende Frage an, an deren Antwort sich das Übergabekonzept mit allen verbundenen Maßnahmen orientieren muss: Welche Eigentümerstruktur und Organisationsform besitzt der Betrieb, und wie soll diese Struktur nach der Übergabe aussehen? Bei einem klassischen Familienunternehmen mit einer Person oder einem kleinen Führungsteam an der Spitze ist die Übergabe erfahrungsgemäß mit größeren Herausforderungen verbunden als etwa bei einem börsennotierten Unternehmen, das auch ohne den*die Chef*in an der Spitze nachhaltig erfolgreich geführt wird. Selbst wenn es noch mehrheitlich im Besitz einer Gründerfamilie ist.
„Es gehört zu den Pflichten eines Aufsichtsrats oder Beirats, Vorstände zu bestellen oder abzulösen. Dabei ist der Aufsichts- oder Beirat nicht an Weisungen – etwa von Mehrheitseigentümer*innen – gebunden“, sagt Schult. Das heißt: Er muss das Unternehmen als solches in seiner strategischen Grundausrichtung, seinem Marktauftritt und seiner Zukunftsfestigkeit im Blick behalten und die Nachfolge selbst aktiv gestalten und daran mitwirken. „Welche Personen rücken in die Geschäftsleitung nach? Passt das zu der Strategie, die das Unternehmen verfolgt? Hat die Person die passende Qualifikation? Bei all dem muss der Aufsichts- oder Beirat mitreden“, hebt Schult hervor. Mit diesem gesetzlichen Auftrag im Rücken ist das Unternehmensorgan in der Pflicht, das Thema der Nachfolge proaktiv anzustoßen. Schließlich darf der Aufsichtsrat nicht in die Situation geraten, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Die Diplomat*innen im Aufsichtsrat sind gefragt
Bei all dem ist Fingerspitzengefühl und Diplomatie gefragt. „Im Kern wird mit der Nachfolge ein sehr sensibles Thema angesprochen“, sagt Fachanwältin Herbst. „Die abgebende Generation muss die Führung übergeben und sich selbst aus dem Geschäft komplett zurückziehen. Das ist die erste große Hürde, die es zu überwinden gilt.“ Dazu kommt häufig das, was Herbst das „Prince-Charles-Problem“ nennt: Ist der Nachwuchs wirklich schon so weit, die Verantwortung für den Betrieb zu übernehmen? „Um dieses Thema unbefangen angehen zu können, ist ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen dem Aufsichts- bzw. Beirat und den Gesellschafter*innen wichtig“, ergänzt Wolfgang Durach, Rechtsanwalt und Partner bei Forvis Mazars in Deutschland.
Erbschaftsteuer als ein Aspekt der Nachfolgeregelung
Ein weiterer wichtiger Aspekt, warum Aufsichts- und Beirat das Thema Nachfolge strategisch angehen sollten, ist die Erbschaftsteuer. „Auch wenn unternehmerisches Vermögen in vielen Fällen begünstigt besteuert wird, kann immer noch eine erhebliche Steuerbelastung entstehen, vor allem dann, wenn der Übergang nicht professionell mit Steuerspezialisten vorbereitet wurde. Diese Steuerbelastung muss im Zweifelsfall aus der Unternehmenssubstanz erbracht werden – was sich negativ auf die Liquidität auswirken kann“, erläutert Herbst.
„Wenn man es schafft, diese Problematik den Gesellschafter*innen zu vermitteln, ist sehr schnell die Sensibilität da, sich mit dem Thema Nachfolge zu beschäftigen. Denn dann wird allen Beteiligten bewusst: Das ist keine Privatentscheidung als Gesellschafter*in – es betrifft den gesamten Betrieb.“
Übergabe oder Verkauf sorgfältig planen
Da häufig offen ist, ob eine familieninterne Nachfolge oder ein Verkauf in Betracht kommen, gibt es neben den Steuern eine Fülle weiterer Themen, die bei einer Nachfolgeregelung zu adressieren sind. Daher sollten die beteiligten Gruppen und Gremien überlegen, rechtzeitig externe Expert*innen hinzuzuziehen. Diese können das Unternehmen systematisch für die Übergabe beziehungsweise einen Verkauf bereit machen und dabei gezielt potenzielle Problemstellen identifizieren. So lässt sich das Risiko von späteren Streitigkeiten innerhalb der Gesellschafter*innen, aber auch gegenüber dem Aufsichtsrat reduzieren.
„Der Aufsichtsrat kann sensible Punkte offen benennen und wesentlich dazu beitragen, dass rechtzeitig eine Nachfolgestrategie entwickelt wird“, sagt Rechtsanwalt Durach. Auch die Schaffung professioneller und zukunftsfähiger Strukturen in den Bereichen Finanzen/Controlling und Governance trägt wesentlich zu einem erfolgreichen Nachfolge- oder Verkaufsprozess bei. „Ein verkaufsfähiges Unternehmen ist auch nachfolgefähig“, so der Experte von Forvis Mazars. „Schließlich ist es für die übernehmende Familiengeneration, noch mehr aber für potenzielle Käufer*innen ein entscheidender Punkt, dass die interne Organisation steht, verlässliche Zahlen geliefert werden und das Unternehmen wirtschaftlich betrachtet zukunftsfähig ist“, ergänzt seine Kollegin Herbst. „Auch die Frage, inwieweit der*die Nachfolger*in vorher selbst im Unternehmen tätig werden soll und kann, ist ein wichtiger zu klärender Aspekt.“
Bei allem jedoch gilt: Die Nachfolger*innen müssen das Vertrauen der Unternehmensführung und der Gesellschafter*innen beziehungsweise der Gesellschafterversammlung haben. „Theorie und Praxis sind bei der Nachfolge dann eben doch zweierlei. Am Ende können Aufsichtsrat und Beirat nur so lange effektiv agieren, wie sie sich in dem Rahmen bewegen, der ihnen vonseiten der Eigentümer*innen gewährt wird“, betont Durach.