Mit der E-Rechnung auf dem Weg zur autonomen Finanzabteilung
Das im März verabschiedete „Wachstumschancengesetz“ verpflichtet Unternehmen in Deutschland, ab dem 1. Januar 2025 elektronische Rechnungen zu empfangen, zu verarbeiten und zu archivieren. Die Regelung erweitert eine bereits seit 2020 bestehende Pflicht für Lieferanten des öffentlichen Sektors oder international tätiger Unternehmen. Weitere Anforderungen in Bezug auf den Versand ergeben sich stufenweise bis zum 1. Januar 2028 aus dem Gesetz.
Rechnungsinformationen werden fortan elektronisch übermittelt. Das bringt grundsätzliche Vorteile bei der Automatisierung des Empfangs und der Weiterverarbeitung. Die durchgehend digitale Bearbeitung ist möglich, weil eine E-Rechnung die Rechnungsinhalte – anders als bei einer Papierrechnung – in einem maschinenlesbaren Datensatz darstellt. „Für Unternehmen bietet diese Umstellung – richtig umgesetzt – neben den notwendigen Aufwänden für die Implementierung erhebliche Potenziale“, betont Christian Sengewald, Wirtschaftsinformatiker und Partner bei Forvis Mazars.
Die Abläufe werden erheblich beschleunigt
Durch den Einsatz der E-Rechnung lassen sich die Durchlaufzeiten in der Eingangsrechnungsverarbeitung um bis zu 80 Prozent senken. „Die Prozesse werden insgesamt schneller. Menschliche Eingriffe werden seltener, weil manuelle Eingaben oder Korrekturen im Prozess der Rechnungserfassung nicht mehr notwendig sind. In einem optimal aufgesetzten Beschaffungsprozess – mit Bestellbezug und ordnungsgemäßer Erfassung von Wareneingängen und erhaltenen Leistungen – können Vorgänge vollständig maschinell abgearbeitet werden“, sagt Christian Sengewald. Im Zweifelsfall landet ein Vorgang gesteuert über einen digitalen Workflow zur separaten Prüfung bei einem*einer Mitarbeiter*in.
Weitere Vorteile aus Sicht der Rechnungsempfänger: Die Datenqualität lässt sich dank der verringerten Fehleranfälligkeit steigern. Zudem lassen sich in den elektronischen Formaten weitere Informationen teilen, was gerade bei dauerhaften Geschäftsbeziehungen von Vorteil ist. Außerdem kann die Bearbeitung künftig dezentral und ortsunabhängig erfolgen. „Das wirkt sich sehr positiv auf den Abschluss der Nebenbücher aus. Zudem kann sich das Risiko von Überzahlungen oder Betrugsversuchen verringern“, führt der Experte von Forvis Mazars aus. Weitere Pluspunkte sind ein verringertes Prozessrisiko und mehr Nachhaltigkeit durch die Einsparung von Ressourcen wie Papier, Strom oder Druckerpatronen.
Die E-Rechnung könnte den Start eines neuen Zeitalters in der Buchhaltung markieren. Am Ende dieses Weges könnten nicht nur verbesserte Prozesse stehen, sondern eine letztlich komplett autonom agierende Abteilung. Bereits heute werden die buchhalterischen Prozesse rund um die E-Rechnung zunehmend automatisiert. Die Regulatorik forciert diese Entwicklung: So tauschen Buchhaltungen auf digitalen Wegen längst umfangreich Daten mit Finanzämtern aus. Auch E-Bilanzen und Jahresabschlüsse werden digital übertragen. Betriebsprüfer*innen können digitalen Zugriff auf Zahlenwerke erhalten, Kreditorenbuchhaltungen bearbeiten digitale Eingangsrechnungen und Debitorenbuchhaltungen verschicken digitalisierte Ausgangsrechnungen.
Die rasante Entwicklung, die KI-gestützte Systeme in jüngster Zeit durchlaufen haben, eröffnet ganz neue Möglichkeiten, Finanzabteilungen mehr und mehr autonom agieren zu lassen. Selbstbestimmende Softwareagenten steuern dabei Finanzprozesse und Aktivitäten, die die Abläufe im Front-, Middle- und Back-Office optimieren. Menschliche Mitarbeiter*innen greifen nur noch dann ein, wenn die Systeme keine Lösung erkennen oder abarbeiten können.
Gehaltvolle Daten sind entscheidend
Der weitere Einsatz dieser Systeme in den Rechnungsverarbeitungsprozessen wird dazu führen, dass dies künftig immer seltener notwendig ist. Christian Sengewald: „Abhängig von der Datenmenge und dem Lernprozess kann ein autonom agierendes System selbst Sonderfälle erkennen und eine Lösungsoption anbieten. Inwieweit Mitarbeiter*innen dann noch kontrollieren und validieren, wird von der Güte des Lernprozesses der Systeme abhängen.“
Den Mitarbeiter*innen in den Buchhaltungen kommt in der aktuellen Transformationsphase erhebliche Bedeutung zu: Nur durch ihre Kenntnisse und Erfahrungen wird es möglich sein, die Systeme für die Regelprozesse einer autonom arbeitenden Finanzabteilung effizient und gut aufzustellen. „Diese Mitarbeiter*innen müssen mit ihrem Know-how eingebunden werden. Die Umstellung funktioniert nur in Zusammenarbeit und lässt sich nicht von oben verordnen“, sagt der Experte.
Wenn die regelbasierten Finanzprozesse eines Tages autonom bearbeitet werden können, bieten sich Buchhalter*innen vollkommen neue Möglichkeiten. „Es entsteht Raum für geschäftsfördernde Tätigkeiten, die viel Kreativität erfordern und eben nicht regelbasiert ablaufen“, sagt Christian Sengewald.
Wann genau sollten Unternehmen den Weg zur Entwicklung vollständig autonomer Systeme in der Buchhaltung beschreiten? „Der beste Zeitpunkt ist jetzt“, meint Sengewald. „KI-gestützte Systeme durchlaufen eine unglaublich schnelle Entwicklung. Wenn man sehr konservativ rechnet, dann dürften einige Abteilungen spätestens 2030 in Teilen autonom agieren. Wahrscheinlich erreichen wir das aber schon früher.“