IFRS: Latente Steuern

Ansatz, Bewertung, Ausweis latenter Steuern nach IFRS

Mit den divergierenden Zielsetzungen der Rechnungslegung nach IFRS und der steuerlichen Gewinnermittlung sind abweichende darauf aufbauende Rechnungslegungsgrundsätze verbunden. Hieraus resultieren regelmäßig Unterschiede in den Wertansätzen der Vermögenswerte und Schulden in der IFRS- und der Steuerbilanz, die oftmals auf eine rein zeitlich verschobene Erfolgswirksamkeit der jeweiligen Bilanzposten zurückzuführen sind. In der Konsequenz steht der aus der steuerlichen Gewinnermittlung in den IFRS-Abschluss zu übernehmende tatsächliche Steueraufwand bzw. -ertrag regelmäßig in keinem intuitiv nachvollziehbaren Zusammenhang zum ausgewiesenen IFRS-Ergebnis vor Ertragsteuern. Gleiches gilt für die in der IFRS-Bilanz ausgewiesenen Ertragsteuerforderungen bzw. -verbindlichkeiten.

Diese Tatsache vorausgestellt liegt der Bilanzierung latenter Steuern nach IFRS ein einfacher Grundgedanke zugrunde: Mit der Bilanzierung latenter Steuern soll der unterschiedlichen Behandlung eines Sachverhaltes in der Rechnungslegung nach IFRS und der steuerlichen Gewinnermittlung Rechnung getragen werden, indem in der IFRS-Bilanz zusätzlich latente Steuerforderungen bzw. -verbindlichkeiten angesetzt werden, die zukünftige Steuerentlastungen bzw. -belastungen repräsentieren. Zugleich erfolgt mit der Abgrenzung latenter Steuern eine Synchronisation von Steueraufwand bzw. -ertrag und dem ausgewiesenen IFRSErgebnis vor Ertragsteuern. Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der latenten Steuern stellen innerhalb dieses Grundgedankens grundsätzlich die unterschiedlichen Wertansätze von Vermögenswerten und Schulden in IFRS- und Steuerbilanz dar, die in zukünftigen Perioden steuerbelastend oder -entlastend wirken.

Dass dieser Grundgedanke zur Abgrenzung latenter Steuern leider nur aus theoretischer Sicht einfach zu sein scheint, zeigen die vielfältigen Probleme, die sich im Rahmen der Bilanzierung latenter Steuern in der Unternehmenspraxis ergeben. So führen die komplexen steuerlichen Vorschriften in Deutschland regelmäßig zu einer anderen Behandlung eines Sachverhaltes in der Steuerbilanz als die sicherlich nicht weniger komplexen Vorschriften der IFRS in der IFRSBilanz. Der Effekt der unterschiedlichen Wertansätze der Vermögenswerte und Schulden wird im Rahmen der Erstellung eines IFRS-Konzernabschlusses zumeist noch verstärkt, da hieraus weitere Abweichungen zwischen IFRS- und Steuerbilanz resultieren können. Darüber hinaus können nach IFRS neben unterschiedlichen Wertansätzen auch steuerliche Zins- und Verlustvorträge Relevanz im Rahmen der Bilanzierung latenter Steuern erlangen.

Die zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema latente Steuern zeigen die in diesem Zusammenhang bestehenden vielfältigen Bilanzierungsfragen und die bilanzpolitischen Auswirkungen auf. Nicht grundlos wird die Bilanzierung latenter Steuern nach IFRS in der Literatur als „eine der größten Herausforderungen“ oder auch einer „der komplexesten Bereiche der Bilanzierung und Bewertung“ bezeichnet. Diese Aussagen beschränken sich dabei nicht nur auf die Abschlusserstellung, sondern betreffen zugleich auch Themenbereiche wie die Abschlussprüfung und die Bilanzanalyse. Für die Unternehmenspraxis wird die Bedeutung der latenten Steuern dadurch noch verstärkt, dass die in der Bilanz ausgewiesenen latenten Steuern oftmals einen nicht unerheblichen Anteil an der Bilanzsumme einnehmen.

In der handelsrechtlichen Bilanzierungspraxis führte die Abgrenzung latenter Steuern lange Zeit ein „Schattendasein“. Mit Verabschiedung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes wurde die Bilanzierung latenter Steuern im Einzel- und Konzernabschluss neu geregelt und konzeptionell an die Vorschriften der IFRS angenähert, so dass das Thema latente Steuern zukünftig auch nach HGB „deutlich mehr Aufmerksamkeit erfordern“ wird. Viele der mit der Bilanzierung latenter Steuern verbundenen Fragestellungen sind somit längst nicht mehr nur im Zusammenhang mit IFRS-Abschlüssen von Bedeutung, sondern auch für die künftige HGB-Bilanzierung von Relevanz.

IFRS: Latente Steuern

1. Auflage 2011

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