BFH-Urteil vom 12. Oktober 2022: Die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht ist verfassungsgemäß
Schenkungsteuerpflicht ist verfassungsgemäß
Hintergrund
Eine Schenkung ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, wenn der Schenker oder der Erwerber zur Zeit der Ausführung der Schenkung Inländer ist. Grundsätzlich ist Inländer, wer in Deutschland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat; auf die Staatsangehörigkeit kommt es nicht an. Als Inländer gilt gemäß 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG aber auch ein deutscher Staatsangehöriger, der sich nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland über einen Wohnsitz zu verfügen.
Der Kläger erwarb im Dezember 2011 von seiner Mutter ein in der Schweiz belegenes Grundstück gegen Bestellung eines hinter dem Wert des Grundstücks zurückbleibenden sog. lebenslänglichen Nutznießungsrechts nach Schweizer Recht. Der Kläger und seine Mutter (beide deutsche Staatsangehörige) hatten vor der Übertragung ihre Wohnsitze in Deutschland aufgegeben und waren im November 2011 in die Schweiz gezogen.
Die Mutter verstarb im Februar 2013. Nach ihrem Ableben setzte der Kläger als deren Alleinerbe die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen des Erbschaftsteuerverfahrens von der Schenkung des Schweizer Grundstücks an ihn in Kenntnis. Das Finanzamt setzte daraufhin in Deutschland unter Bezugnahme auf die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht Schenkungsteuer für die Grundstücksschenkung fest. Der erst rund einen Monat vor der Schenkung erfolgte Wegzug aus Deutschland reiche nicht aus, um die Schenkungsteuer in Deutschland zu vermeiden.
Der Kläger führte dagegen an, die Regelung der erweiterten unbeschränkten Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht sei verfassungswidrig, denn sie führt insbesondere zwischen deutschen und nichtdeutschen Staatsangehörigen zu einer Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG, die nicht zu rechtfertigen sei. Zudem liege eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG unter dem Aspekt der Ausreisefreiheit sowie eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV vor. Damit hatte er vor dem BFH keinen Erfolg.
Kernaussage
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht verstoße weder gegen Verfassungs- noch gegen Unionsrecht.
Das Grundgesetz und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts billigen dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Festlegung des Steuergegenstands einschließlich der Bestimmung der einbezogenen Personengruppe zu, innerhalb dessen der Gesetzgeber bei der Regelung der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nach dem ErbStG sachgerecht und nicht willkürlich handelt. Historisch gesehen war die deutsche Staatsangehörigkeit schon seit dem ersten deutschlandweit geltenden Erbschaftsteuergesetz ein bzw. der Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht. Die deutsche Staatsangehörigkeit stehe dabei – so der BFH – gleichrangig neben Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthaltsort. Sie vermittelt einen hinreichend engen Inlandsbezug und rechtfertigt daher bei der Besteuerung eine Differenzierung gegenüber nichtdeutschen Staatsangehörigen ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Zudem hat der Gesetzgeber die Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG nicht allein an die Staatsangehörigkeit geknüpft, sondern zusätzlich die Steuerpflicht zeitlich auf fünf Jahre begrenzt. Dadurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Bindungen des im Ausland lebenden deutschen Staatsangehörigen mit fortschreitendem Zeitablauf seit dem Wegzug verblassen und ein unbeschränkter Steuerzugriff zunehmend einer intensiveren Rechtfertigung bedürfte.
Zudem liege auch – wie der BFH weiter ausführt – keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG unter dem Aspekt der Ausreisefreiheit vor, da die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht allenfalls eine mittelbare Erschwerung einer Ausreise darstellt.
Eine Verletzung der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) liege ebenfalls nicht vor. Dazu verweist der BFH darauf, dass die Rechtslage hierzu bereits durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt ist (vgl. EuGH v. 23. Februar 2006 – C-513/03, van Hilten – van der Heijden, EU:C:2006:131, DStRE 2006, 851 (Rn. 45)). Einer Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 267 AEUV bedürfe es daher nicht.
Bedeutung für die Praxis
Das BFH-Urteil betrifft zwar einen Schenkungsfall, inhaltlich gilt es auch für Erbfälle. Indem die Rechtsprechung dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt, gibt sie ihm auch ein Instrument an die Hand, mit dem er gegen Umgehungsgestaltungen vorgehen kann. Ein kurzfristiger Wegzug führt daher nicht dazu, dass man sich der deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuer entziehen kann. Nur langfristige Planung und deren ernsthafte Umsetzung helfen weiter. Neben der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht darf man bei der Planung der Vermögensnachfolge auch nicht die beschränkte Steuerpflicht für das in § 121 BewG aufgezählte Inlandsvermögen sowie die erweiterte Erbschaftsteuerpflicht gemäß § 4 Außensteuergesetz (AStG) außer Acht lassen. Wer sich dem Zugriffsrecht des deutschen Fiskus durch Wegzug entziehen möchte, muss dies sorgfältig planen und die Wegzugs- sowie die Zuzugsregelungen der einzelnen Staaten beachten. Dabei sind insbesondere auch ertragsteuerliche Folgen, wie z. B. die Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG, zu berücksichtigen. Da es für die Erbschaft- und Schenkungsteuer nur ganz wenige Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mit dem deutschen Staat gibt, droht bei ungünstiger Gestaltung sogar eine Doppelbesteuerung der Erbschaft bzw. Schenkung.
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 1/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.