BFH-Urteil vom 3. August 2022 (XI R 32/19) – Erweiterung einer Anschlussprüfung
Erweiterung einer Anschlussprüfung
Hintergrund
Die Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 AO und deren Umfang liegen im Ermessen der Finanzbehörde. Bei Ermessensentscheidungen dürfen Gerichte gemäß § 102 FGO lediglich prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums und des Ermessenszwecks eingehalten wurden (§ 5 AO) und ob die Behörde das ihr zustehende Ermessen auch tatsächlich ausgeübt hat.
Eine Selbstbindung der Finanzbehörde im Hinblick auf die Ermessensentscheidungen bei Anordnung und Durchführung einer Außenprüfung besteht durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für Betriebsprüfungen, die Betriebsprüfungsordnung vom 15. März 2000 (BpO 2000). Nach § 4 Abs. 3 S. 1 BpO 2000 wurde für andere als Großbetriebe ein Prüfungszeitraum von nicht mehr als drei zusammenhängenden Besteuerungszeiträumen festgelegt. Ein Prüfungszeitraum, der länger als drei Besteuerungszeiträume andauert, kann nur dann angeordnet werden, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit im Raum steht (§ 4 Abs. 3 S. 2 BpO 2000). Nach dieser Vorschrift sind auch Anschlussprüfungen zulässig (§ 4 Abs. 3 S. 3 BpO 2000).
Im entschiedenen Fall wurde gegen eine GmbH auf der Grundlage einer Prüfungsanordnung aus 2013 eine Außenprüfung für die Jahre 2008 und 2009 durchgeführt. Anschließend ist im Jahr 2015 vor Abschluss dieser Außenprüfung eine weitere Prüfungsanordnung für die Jahre 2010 bis 2012 ergangen. Die GmbH hat diese Prüfungsanordnung angefochten, jedoch später die Klage für das Jahr 2010 zurückgenommen. Für die Jahre 2011 und 2012 wurde die Prüfungsanordnung durch rechtskräftiges Urteil des Finanzgerichts (FG) in 2017 aufgehoben. Darauffolgend erging jedoch 2017 eine weitere Prüfungsanordnung der Finanzbehörde, die die Außenprüfung für das Jahr 2010 auf die Jahre 2011 und 2012 erweitert hat. Begründet wurde dies mit der zu erwartenden nicht unerheblichen Steuernachforderung im Sinne von § 4 Abs. 3 S. 2 BpO 2000. Die Betroffene hat im Jahre 2017 gegen diese Erweiterung der Prüfungsanordnung Einspruch eingelegt, der zurückgewiesen wurde. Innerhalb dieses Zeitraums, nämlich am 8. Juni 2018, hat die Finanzbehörde die Außenprüfung für die Jahre 2008 und 2009 abgeschlossen.
Kernaussage
Der BFH sah im entschiedenen Fall durch die Erweiterung der Außenprüfung für das Jahr 2010 auf die Jahre 2011 und 2012 eine Erweiterung der ersten Anschlussprüfung nach § 4 Abs. 3 S. 3 BpO 2000, für die auch keine besondere Begründung erforderlich sei. Nach den Ausführungen des BFH besteht auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung bei Anordnung der ersten Anschlussprüfung. In diesem Sinne ordnet der BFH als erste Anschlussprüfung die Prüfungsanordnung zur Durchführung einer Außenprüfung für das Jahr 2010 sowie die Erweiterung dieser Prüfung auf die Jahre 2011 und 2012 ein, und stellt fest, dass die Erweiterung des Prüfungszeitraums von einem auf drei Jahre ohne Begründung rechtmäßig und zulässig sei. Auch die Prüfungsanordnung von 2015 für das Jahr 2010, auf die sich der BFH stützt, ist bestandskräftig, da die GmbH ihre Klage für das Jahr 2010 zurückgenommen hatte. Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die Regelung in § 4 Abs. 3 S. 1 BpO 2000 im entschiedenen Fall nicht rechtswidrig umgangen wurde.
Ferner ist zu beachten, dass im entschiedenen Fall auch das rechtskräftig gewordene Urteil des FG von 2017 zur Aufhebung der Prüfungsanordnung für die Jahre 2011 und 2012 nach Auffassung des BFH kein Hindernis für die Erweiterung der Anschlussprüfung von 2010 auf die Jahre 2011 und 2012 darstellt. Nach den Ausführungen des BFH wurde die Prüfungsanordnung laut den Begründungen des FG nur deswegen aufgehoben, weil keine Gründe nach § 4 Abs. 3 S. 2 BpO 2000 zur Erweiterung des Prüfungszeitraums von der Finanzbehörde vorgebracht wurden. Die Aufhebung der Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums durch ein rechtskräftiges Urteil steht dem Erlass einer neuen Prüfungsanordnung nicht im Weg, ähnlich wie die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen eines Verfahrensmangels kein Hindernis für den Erlass eines neuen ist, so die höchstrichterliche Rechtsprechung.
Abschließend erörtert der BFH, dass auch kein Verstoß gegen die Regelung des § 4 Abs. 3 S. 2 BpO 2000 vorliegt, da zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung vom 12. März 2019 ein Prüfungszeitraum, der mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen würde, nicht mehr vorlag. Als Anhaltspunkt für diese Auffassung nimmt der BFH an, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Finanzbehörde gemäß § 102 FGO die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier die Einspruchsentscheidung vom 12. März 2019, darstellt. Das gilt auch bei Prüfungsanordnungen und deren Erweiterungen.
Der BFH kommt zu diesem Schluss, weil die Finanzverwaltung zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung vom 12. März 2019 die Außenprüfungen für die Jahre 2008 und 2009 am 8. Juni 2018 abgeschlossen hatte.
Bedeutung für die Praxis
Das BFH-Urteil bestätigt die generelle Linie der Rechtsprechung, Außenprüfungen der Finanzverwaltung großzügig zuzulassen. So hat der BFH in der Vergangenheit entschieden, dass selbst die Prüfung bereits verjährter Zeiträume zulässig ist. Der Finanzverwaltung soll zur effektiven Durchführung einer gleichmäßigen Besteuerung erlaubt sein, durch Außenprüfungen die Angaben der Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen zu. überprüfen. Die im entschiedenen Fall dargelegten Grundsätze zur gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsanordnungen sind sowohl für Großbetriebe als auch für mittlere oder kleine Betriebe maßgebend.
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 1/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.