Umsatzsteuer
(EuGH, Urteil v. 12.03.2015 – Rs. C-594/13; go fair Zeitarbeit) +++ EuGH, 26.03.2015 – C-108/14, C-109/14: Vorlagen zur Vorabentscheidung:
Vorsteuerabzug von Führungsholdings – Personengesellschaften als Organgesellschaften +++
Keine Steuerbefreiung für die Personalgestellung von Pflegefachkräften (EuGH, Urteil v. 12.03.2015 – Rs. C-594/13; go fair Zeitarbeit)
Der Bundesfinanzhof hatte dem EuGH Fragen zur Umsatzsteuerfreiheit der Personalgestellung von Pflegefachkräften an stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen vorgelegt. Nach § 4 Nr. 16 UStG kam eine Steuerbefreiung nicht in Betracht. Der BFH war jedoch der Ansicht, dass sich dies nach EU-Recht (Art. 132 Abs. 1 Buchst.g MwStSystRL) anders darstellen könnte, und tendierte zur Steuerbegünstigung. Letzteres wurde nun vom EuGH verneint.
Die Klägerin betreibt eine Zeitarbeitsfirma und verlieh bei ihr angestellte Pflegefachkräfte auf Grundlage des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) an stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen i.S. v.§ 4 Nr. 16 UStG. Die Arbeitnehmer der Klägerin waren weisungsgebunden und organisatorisch in die jeweilige Pflegeeinrichtung eingegliedert.
Die Klägerin sah ihre Umsätze als steuerbefreit an nach § 4 Nr. 16 UStG.Das Finanzamt unterwarf hingegen die Umsätze dem Regelsteuersatz, weil die Klägerin keine Einrichtung zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen betreibt, sondern einen – wenn auch auf Pflegefachkräfte beschränkten – Arbeitnehmerverleih auf Zeit.
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH (V R 20/12) geht es im Wesentlichen um die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst.g MwStSystRL. Danach befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“. Der EuGH sah den Tatbestand dieser Befreiungsnorm vorliegend nicht erfüllt. Die Gestellung von Arbeitnehmern stellt als solche auch keine im sozialen Bereich erbrachte Gemeinwohldienstleistung dar. Es spielt insoweit weder eine Rolle, dass die betreffenden Arbeitnehmer Pflegekräfte sind, noch, dass diese anerkannten Pflegeeinrichtungen zur Verfügung gestellt werden.
Über die Frage, ob die Personalgestellung durch einen gemeinnützig tätigen Verein an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Förderung eines Projekts der Sozialfürsorge von der Umsatzsteuer befreit ist, hat der BFH noch zu entscheiden (V R 56/14). Da es sich in letzterem Fall bei der Klägerin bereits um eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter handelt, könnte der Fall anders liegen als bei der Sache, über die der EuGH zu entscheiden hatte. Es bleibt abzuwarten, ob dies für die umsatzsteuerliche Beurteilung der Personalgestellung einen qualitativen Unterschied macht.
EuGH, 26.03.2015 – C-108/14, C-109/14: Vorlagen zur Vorabentscheidung: Vorsteuerabzug von Führungsholdings – Personengesellschaften als Organgesellschaften
Der XI. Senat des BFH hat dem EuGH im Rahmen einer Vorabbefragung zwei Fragen zur Beantwortung vorgelegt (BFH v.11.12.2013 – XI R 17/11; v.11.12.2013 – XI R 38/12):
1. Nach welcher Berechnungsmethode ist der (anteilige) Vorsteuerabzug einer sogenannten Führungsholding aus Eingangsleistungen im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung zum Erwerb von Anteilen an Tochtergesellschaften zu berechnen, wenn die Holding später (wie von vornherein beabsichtigt) verschiedene steuerpflichtige Dienstleistungen gegenüber diesen Gesellschaften erbringt?
2. Steht die Bestimmung über die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen in Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie (jetzt Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL) einer nationalen Regelung entgegen, nach der (erstens) nur eine juristische Person – nicht aber eine Personengesellschaft – in das Unternehmen eines anderen Steuerpflichtigen (sog. Organträger) eingegliedert werden kann und die (zweitens) voraussetzt, dass diese juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch (im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses) „in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist“?
Und falls die Frage 2 mit ja zu beantworten ist: Kann sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie berufen?
Am 26.03.2015 hat sich der Generalanwalt Mengozzi zu den Fragen des BFH geäußert und seine Schlussanträge zur Beantwortung durch den EuGH gestellt.
Mengozzi geht davon aus, dass der EuGH für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage nicht zuständig ist, da nur die Mitgliedstaaten die Kompetenz haben, den Anteil der Vorsteuerbeträge, der auf eine wirtschaftliche und eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit entfällt, zu bestimmen. Diese Aussage von Mengozzi schließt an bisherige Urteile des EuGH an (vgl.EuGH v.13.03.2008 – C-437/06). Unabhängig von der Kompetenz des EuGH zur Aufteilung vertritt Mengozzi die Meinung, dass für eine Aufteilung der Vorsteuer kein Grund bestehe, da die gesamte Leistung, welche eine Führungsholding für den Erwerb der Tochtergesellschaften aufbringt, der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens zuzurechnen sei. Auch die Haltung Mengozzis, dass den Unternehmen daher der volle Vorsteuerabzug zu gewähren sei, kann sich auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH stützen (insb. EuGH v. 27.09.2001 – C-16/00).
Der Auffassung Mengozzis für eine einheitliche Zuordnung der Ausgaben zur wirtschaftlichen Tätigkeit ist zu begrüßen. Die Aufteilung der Anschaffungskosten würde dem Neutralitätsgebot widersprechen, da ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang künstlich geteilt würde.
Zur zweiten Vorlagefrage stellt Mengozzi fest, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG schärfere Regelungen trifft als Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL und grundsätzlich über diesen hinausgeht. Die Regelung, dass nur juristische Personen Organgesellschaften sein können und das nach der Rechtsprechung des BFH erforderliche Verhältnis der Über-Unterordnung zwischen Organträger und Organgesellschaft kennt Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL nicht. Sollte der EuGH sich zur zweiten Vorlagefrage äußern, dürfte er nach Mengozzis Meinung die Prüfung, ob die Erweiterung der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gegenüber Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL zur Vermeidung von Steuerhinterziehung oder Missbrauch erforderlich ist, dem XI. Senat überlassen. Dieser würde damit seine Rechtsprechung aus neuerer Zeit fortsetzen (vgl.EuGH v. 25.04.2013 – C-480/10).
Aufgrund der Begründung des XI. Senats in den Vorlagebeschlüssen ist u.E. davon auszugehen, dass der XI. Senat die Einschränkungen als nicht erforderlich beurteilen wird, weil die Beschränkung auf juristische Personen gegen das Prinzip der Rechtsformneutralität verstößt. Ob die Anforderung eines Über-Unterordnungsverhältnisses zur Vermeidung von Steuerhinterziehung oder Missbrauch nach Meinung des XI. Senat notwendig ist, ist bisher noch nicht vorherzusehen.
GA Mengozzi verneint die Möglichkeit einer direkten Berufung auf Art. 11 MwStSystRL durch den Steuerpflichtigen. Eine solche Entscheidung des EuGH könnte möglich sein, wenn man berücksichtigt, dass das Unionsrecht kein Wahlrecht zur Organschaft kennt (FG Saarland v. 18.11.2014 – 1 K 1480/12, Revision eingelegt beim BFH: V R 67/14).