Der BFH beschließt erneut über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge
Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge
Zu den in unserem dritten Steuernewsletter aus 2022 angesprochenen ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 AO hat nun auch der VI. Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2022 (VI B 15/22) Stellung genommen und entgegen der Auffassung des VII. und V. Senates des BFH entschieden, dass keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 AO bestehen.
BFH: Säumniszuschläge und Nachzahlungszinsen unterschiedlich zu behandeln
Der VI. Senat des BFH hat am 28. Oktober 2022 neben dem oben genannten Beschluss in fünf weiteren Beschlüssen (VI B 27/22; VI B 31/22; VI B 35/22; VI B 38/22; VI B 48/22) im Gegensatz zum VII. und V. Senat des BFH keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 AO geäußert. Seine Auffassung begründet der VI. Senat insbesondere mit den verschiedenen Zweckrichtungen der Vollverzinsung (§ 233a AO) und der Säumniszuschläge (§ 240 AO).
Nachzahlungszinsen nach § 233a AO als Ausgleich für die Kapitalnutzung
§ 233a AO soll objektive Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen der Entstehung des Steueranspruchs (steuerpflichtige Tätigkeit) und seiner Fälligkeit nach Festsetzung (Erlass des Steuerbescheides) ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Somit sind Nachzahlungszinsen - anders als etwa ein Verspätungszuschlag - weder Sanktion noch Druckmittel, sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung. Die Regelung wirkt sowohl zugunsten (Steuererstattung) wie zuungunsten (Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen.
Säumniszuschläge gemäß § 240 AO haben vordergründig Lenkungsfunktion
Demgegenüber sind Säumniszuschläge gemäß § 240 AO Druckmittel eigener Art, die den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten sollen. Zudem verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten (Zinskomponente). Säumniszuschläge dienen schließlich auch zur Abgeltung von Verwaltungsaufwendungen, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen.
Darüber hinaus unterscheiden sich Säumniszuschläge von den Nachzahlungszinsen insbesondere dadurch, dass der Steuerpflichtige -anders als bei der Vollverzinsung- grundsätzlich die Wahl hat, ob die Säumniszuschläge nach § 240 AO entstehen, indem er Steuern nicht rechtzeitig entrichtet oder ob er die Steuerschuld bei Fälligkeit tilgt und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu günstigeren Konditionen beschafft.
Angesichts der wesentlichen Unterschiede von Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen können die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverfassungsgerichts zur Vollverzinsung auf § 240 AO auch nicht allein wegen eines gedachten Zinsanteils der Säumniszuschläge übertragen werden.
Keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von säumigen und nicht säumigen Steuerschuldnern
Da der Steuerpflichtige eine etwaige Säumnis selbst in der Hand hat, ist für den VI. Senat auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von säumigen und nicht säumigen Steuerschuldnern durch die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge zu erkennen, sodass insoweit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gegeben ist.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge
Auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus sieht der VI. Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge.
Einerseits kann aus § 240 AO nicht entnommen werden, in welchem quantitativen Verhältnis die vom Gesetz verfolgten Zwecke (Druckmittel, zinsähnliche Funktion, Verwaltungsaufwand) zueinander stehen, sodass die Höhe des im Säumniszuschlag enthaltenen Zinses ungeklärt ist. Ein lediglich gedachter, nicht zu quantifizierender Zinsanteil an den Säumniszuschlägen vermag ernstliche Zweifel an deren gesetzlich festgelegten Höhe von 1 % je angefangenen Monat nicht zu begründen.
Des Weiteren könnte selbst bei der Annahme eines Zinsanteils von 0,5 % an den Säumniszuschlägen zumindest in Fällen verspätet entrichteter Lohnsteuer und Umsatzsteuer nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs. 1 S. 1 AO führen. Denn ein Säumniszuschlag von 1 % für jeden angefangenen Monat der Säumnis wäre nach Auffassung des Senats jedenfalls im Hinblick auf verspätet entrichtete Lohnsteuer und Umsatzsteuer auch allein zur Erzwingung deren rechtzeitiger Zahlung und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus unbedenklich. Bei der Lohnsteuer und der Umsatzsteuer folgt dies aus dem Umstand, dass es sich jeweils um Fremdgeld handelt, das nicht sach- und zweckwidrig selbst verwendet werden darf.
Fazit
Die vom VI. Senat des BFH aufgeführten Gründe, die gegen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge sprechen, sind plausibel. Gegenstand der oben genannten Beschlüsse des BFH waren aber wieder lediglich Beschwerdeverfahren. Mithin bleibt für eine endgültige Klärung einer Verfassungswidrigkeit von § 240 AO der Ausgang der jeweiligen Hauptsacheverfahren abzuwarten, bevor die Frage an das Bundesverfassungsgericht, das allein die Verfassungswidrigkeit des § 240 AO feststellen dürfte, gehen kann. Da eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen derzeit noch nicht absehbar ist, wäre aktuell im Falle der Geltendmachung von Säumniszuschlägen in Höhe von 1 % monatlich durch das Finanzamt weiterhin vorsorglich ein Abrechnungsbescheid zu beantragen, um eine Handlungsmöglichkeit gegen die Säumniszuschläge zu haben.
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 4/2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.