BFH-Urteil vom 28. Juni 2022: Gewerbesteuerrechtliches Schachtelprivileg bei doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften
BFH doppelt ansässige Kapitalgesellschaft
Hintergrund: Für Zwecke der Gewerbesteuer ist der Gewinn gem. § 8 Nr. 5 GewStG um Gewinnanteile aus Anteilen an einer Körperschaft i. S. d. KStG, die bei der Ermittlung des körperschaftsteuerlichen Gewinns aus Gewerbebetrieb außer Ansatz geblieben sind, hinzuzurechnen (d. h. 95 % der Bruttoausschüttungen, § 8 Abs. 1, 5 KStG). Eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG ist allerdings ausgeschlossen, soweit die Voraussetzungen der Kürzungsvorschriften des § 9 Nr. 2a oder Nr. 7 GewStG vorliegen (sog. gewerbesteuerliche Schachtelprivilegien). Für die Anwendung von § 9 Nr. 7 GewStG ist tatbestandlich (eindeutig) erforderlich, dass Sitz und Ort der Geschäftsleitung der ausschüttenden Gesellschaft nicht im Inland liegen dürfen.
§ 9 Nr. 2a GewStG gilt für Gewinnanteile an einer nicht steuerbefreiten inländischen Kapitalgesellschaft i. S. d. § 2 Abs. 2 GewStG, wenn die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens 15 % beträgt (und die Gewinnanteile bei der Ermittlung des Gewinns angesetzt worden sind). Da § 9 Nr. 2a GewStG keine Legaldefinition enthält, was unter einer „inländischen“ Kapitalgesellschaft zu verstehen ist, ist bislang umstritten gewesen, ob doppelt ansässige Kapitalgesellschaften von dieser Kürzungsvorschrift erfasst werden. Für die Anwendbarkeit der Kürzungsvorschrift wird zum einen ein doppelter Inlandsbezug (Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland) gefordert, nach anderer Auffassung soll ein einfacher Inlandsbezug (Sitz oder Ort der Geschäftsleitung) ausreichen. Diese Streitfrage hat der BFH mit Urteil vom 28. Juni 2022 (Az. I R 43/18) nunmehr im Sinne der letzteren Auffassung entschieden.
Entscheidung des BFH: Die Gewinnanteile einer Kapitalgesellschaft mit statutarischem Sitz in Belgien und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland sollen bei ihrer 100%igen deutschen Muttergesellschaft für deren gewerbesteuerliche Zwecke nicht einzubeziehen sein (technische Umsetzung: nicht mittels Hinzurechnung im ersten Schritt und anschließende Kürzung, sondern gar nicht erst Einbeziehung (vgl. Rz. 32 f. der Entscheidung)).
Der BFH begründet dies zum einen mit der Systematik der sog. gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien. So erfasst § 9 Nr. 2 GewStG ausdrücklich die Gewinnanteile sämtlicher in- und ausländischen Personengesellschaften. Da § 9 Nr. 7 GewStG explizit auf Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland beschränkt ist, müsse – im Umkehrschluss – für § 9 Nr. 2a GewStG ein einfacher Inlandsbezug ausreichen; dies gelte jedenfalls für den Fall des inländischen Orts der Geschäftsleitung.
Entscheidend ist für den BFH aber der Zweck des § 9 Nr. 2a GewStG, eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung sowohl auf Ebene der ausschüttenden Gesellschaft als auch auf Ebene des Anteilseigners zu vermeiden. Denn doppelt ansässige Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland unterlägen in gleicher Weise wie rein inländische Kapitalgesellschaften der inländischen Gewerbesteuerpflicht.
Zudem nehme § 9 Nr. 2a GewStG insgesamt Bezug auf § 2 Abs. 2 GewStG und verfolge den Zweck, eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung zu vermeiden, sodass die Beschränkung auf inländische Kapitalgesellschaften nicht im Sinne eines strengen doppelten Inlandsbezug verstanden werden könne, denn § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG erfasst nach der Rechtsprechung nicht nur inländische, sondern auch ausländische Rechtsformen. Vielmehr sei ausreichend, dass der Inlandsbezug durch eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte hergestellt werde.
Bedeutung für die Praxis: Der BFH positioniert sich mit der vorliegenden Entscheidung zu der Streitfrage, wie der Begriff der „inländischen Kapitalgesellschaft“ in § 9 Nr. 2a GewStG zu verstehen ist. Anders als Teile der steuerlichen Literatur, die das Schachtelprivileg nur solchen Kapitalgesellschaften zugestehen, die ihren statutarischen Sitz und ihre Geschäftsleitung im Inland haben (doppelter Inlandsbezug), genügt es dem BFH, wenn die Kapitalgesellschaft (nur) ihre Geschäftsleitung im Inland hat (einfacher Inlandsbezug), also doppelt ansässig im steuerlichen Sinne ist. Auch wenn die Finanzverwaltung zu dieser Entscheidung noch nicht Stellung genommen hat, sollten offene Fälle insoweit überprüft werden und ebenso wie künftige Fälle auf die Auffassung des BFH gestützt werden können.
Dies sollte u. E. auch in Fällen gelten, in denen nur der statutarische Sitz im Inland liegt und der Ort der Geschäftsleitung im Ausland. Diese Frage hat der BFH jedoch ebenso offengelassen wie die Frage, ob eine inländische Betriebsstätte ausreicht.
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