Zur Verfassungsmäßigkeit der Abstimmungsvereinbarung im Verpackungsgesetz
Abstimmungsvereinbarung im Verpackungsgesetz
Vorliegend hatte der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger (örE) von einer Systemträgerin die Zahlung eines Mitbenutzungsentgelts an den Erfassungskosten für Verpackungen aus dem Jahr 2019 gem. § 3 Abs. 16 VerpackG verlangt. Grundlage für diese Forderung war die zwischen dem örE und der gemeinsamen Vertreterin der zehn im Erfassungsgebiet des örE beteiligten Dualen Systeme abgeschlossenen Abstimmungsvereinbarung.
Die verhandelte Abstimmungsvereinbarung war den beteiligten Systemen über die Plattform „DocuSign“ zur Verfügung gestellt worden, wobei sieben Systeme dieser ausdrücklich zustimmten und nur die Beklagte ausdrücklich dagegen stimmte. Da § 22 Abs. 7 VerpackG eine Zweidrittelmehrheit zur Zustimmung der beteiligten Systeme vorsieht, unterschrieb die gemeinsame Vertreterin die Vereinbarung. Die Zahlungsaufforderung durch den örE wies die Beklagte dann mit der Begründung zurück, es habe keine wirksame Abstimmungsvereinbarung bestanden. Ferner sei § 22 Abs. 7 VerpackG verfassungswidrig und nicht anwendbar. Die Norm sei widersprüchlich und nicht hinreichend bestimmt, da es sich bei der Abstimmungsvereinbarung um einen öffentlich- rechtlichen Vertrag handele, den der örE und die Systeme abzuschließen hätten, sodass die Systeme ihr nicht auch noch zustimmen könnten. Da die gemeinsame Vertreterin der Systeme lediglich die Verhandlungen für die Abstimmungsvereinbarung führen könne, fehle es der Norm an der rechtsstaatsgebotenen Klarheit, wie die Abstimmungsvereinbarung konkret zustande kommen soll. Zudem greife § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG in unverhältnismäßiger Weise in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie des überstimmten Systems ein.
Der durch das Verpackungsgesetz geschaffene Zwang eines Systems, an eine von ihm ausdrücklich abgelehnte Abstimmungsvereinbarung gebunden zu sein, sei nicht erforderlich, um der vom Gesetzgeber ausgemachten Gefährdung der flächendeckenden Getrenntsammlung der Verpackungsabfälle entgegenzutreten. Ein milderes Mittel sei der Widerruf der Genehmigung der Systeme nach § 18 Abs. 3 Satz 1 VerpackG. Schließlich enthalte § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG keine Regelung zur Schutzwürdigkeit der Interessen einzelner Systeme.
Das VG Gießen hat nun die Wirksamkeit der Abstimmungsvereinbarung bestätigt. Auch wenn die Beklagte diese nicht selbst unterschrieben hat, ist sie wirksam durch die gemeinsame Vertreterin vertreten worden. Insbesondere war die Unterzeichnung von der gesetzlichen Vertretungsmacht des § 22 Abs. 7 VerpackG gedeckt.
Schließlich bestehen nach Auffassung des VG Gießen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG: Dieser ist deshalb hinreichend bestimmt, weil aus der Vorschrift klar für alle Beteiligten hervorgeht, wie eine wirksame Abstimmungsvereinbarung zustande kommt. Den Anforderungen, dass die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise erkennen können müssen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, ist in § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG damit gewahrt.
Auch greift das in § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG normierte Zweidrittel-Quorum nicht in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG der Systeme ein. Zwar ergibt sich aus § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG die Rechtsfolge, dass Systeme, die der Abstimmungsvereinbarung nicht zustimmen, dennoch an die Abstimmungsvereinbarung gebunden werden, wenn zwei Drittel der restlichen Systeme dem Abschluss zustimmen. Damit entsteht insoweit unstreitig ein Kontrahierungszwang für die Systeme, die der Abstimmungsvereinbarung nicht zustimmen, sodass die Norm einen Eingriff in die berufliche Privatautonomie bzw. Vertragsfreiheit der überstimmten Systeme – mithin auch der Beklagten – darstellt. Dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Soweit § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG den Abschluss der Abstimmungsvereinbarung von der Zustimmung einer Zweidrittel-Mehrheit der Systeme abhängig macht, handelt es sich im Sinne der „Stufentheorie“ des Bundesverfassungsgerichts lediglich um eine Berufsausübungsregelung, die bereits durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist. Mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit für den Abschluss einer Abstimmungsvereinbarung wird nämlich nicht das „Ob“ des Abschlusses der Abstimmungsvereinbarung, sondern lediglich die Art und Weise der inhaltlichen Ausgestaltung der Abstimmungsvereinbarung geregelt. Die Systeme sind nämlich bereits gesetzlich dazu verpflichtet, Abstimmungsvereinbarungen mit den örE abzuschließen (vgl. § 22 Abs. 1 VerpackG), sodass die Systeme mit der Regelung des § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG lediglich an Abstimmungsvereinbarungen gebunden werden, die diese in dieser Form unter Umständen nicht wollen. Die Mehrheitsregelung hat den Zweck zu verhindern, dass einzelne Systembetreibende den Abschluss einer Abstimmungsvereinbarung blockieren und damit die flächendeckende Getrenntsammlung von Verpackungsabfällen gefährden, die ein besonders wichtiges Schutzgut darstellt und dem Allgemeinwohl dient. Im Übrigen stellt die Mehrheitsregelung das mildeste Mittel dar und ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig, da in der Gesamtabwägung der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nicht außer Verhältnis zu dem mit dem Eingriff verfolgten Gemeinwohlzwecks steht und die Regelung in § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG hinreichend Rücksicht auf die Interessen der einzelnen Systeme nimmt.
Die Entscheidung des VG Gießen ist für die örE als Erfolg zu sehen, da sie bestätigt, dass einzelne Systeme den wirksamen Abschluss einer Abstimmungsvereinbarung und damit die Grundlage für ihre Zahlungspflichten nicht durch ihr Abstimmungsverhalten blockieren können.
Autorin
Maria Elisabeth Grosch
Tel: +49 30 208 88 1174
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