Gleichlautende Ländererlasse zu § 1 Abs. 2c GrEStG (Börsenklausel)

Die obersten Finanzbehörden der Länder veröffentlichten mit Datum vom 4. Oktober 2022 Erlasse zur Anwendung des § 1 Abs. 2c GrEStG.

Einführung

Gemäß § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG liegt ein grunderwerbsteuerbarer Vorgang vor, wenn innerhalb von zehn Jahren 90 % oder mehr der Anteile an einer grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar auf neue Gesellschafter übergehen.

Mit dem zum 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vom 12. Mai 2021 wurde u. a. neben

  • der Herabsetzung der Beteiligungsschwellen von 95 % auf 90 %,
  • der Verlängerung des Betrachtungszeitraums vonfünf auf zehn Jahre bei Änderungen im Gesellschafterbestand von grundbesitzenden Personengesellschaften in § 1 Abs. 2a GrEStG n. F. und
  • der Neueinführung eines parallelen Tatbestands für grundbesitzhaltende Kapitalgesellschaften in § 1 Abs. 2b GrEStG mit § 1 Abs. 2c GrEStG

auch eine sog. Börsenklausel eingeführt.

Danach bleiben bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes i. S. d. § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG und § 1 Abs. 2b Satz 1 GrEStG Übergänge von Anteilen an Kapitalgesellschaften außer Betracht, wenn

  • die Anteile zum Handel an einem im EU/EWRRaum organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG oder einem von der EU-Kommission als gleichwertig anerkannten Drittlandshandelsplatz zugelassen sind und
  • der Anteilsübergang aufgrund eines Geschäfts an diesem Markt oder Drittlandshandelsplatz oder einem multilateralen Handelssystem (MTF) i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Nr. 14 der EU-Verordnung Nr. 600/2014 erfolgt.

Nunmehr sind am 25. Oktober 2022 die auf den 4. Oktober 2022 datierenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung des § 1 Abs. 2c GrEStG veröffentlicht worden.

Eckpunkte der Erlasse vom 4. Oktober 2022

  • Die Anwendung des § 1 Abs. 2c GrEStG kommt sowohl dann in Betracht, wenn Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft unmittelbar übergehen, als auch dann, wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft übergehen, die an einer grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Mittelbare Übertragungen börsennotierter Unternehmen, z. B. Anteilsbewegungen bei physisch replizierenden ETFs, werden nicht erwähnt.
  • Unter § 1 Abs. 2c GrEStG fallende Kapitalgesellschaften sind Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und vergleichbare ausländische Kapitalgesellschaften, deren Anteile an Wertpapierhandelsplätzen zugelassen werden können. Dabei werden jedoch nur solche Anteile erfasst, die zum Handel an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG oder einem gleichwertigen Drittlandshandelsplatz zugelassen sind. In Deutschland stellt der regulierte Markt an den Börsen Frankfurt a. M., Düsseldorf, Berlin, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart einen organisierten Markt dar. MTFs, z. B. in Deutschland der Freiverkehr i. S. d. § 48 BörsenG, stellen keinen organisierten Markt im Sinne der Vorschrift dar. Derzeit als gleichwertig anerkannte Drittlandshandelsplätze sind nur geregelte Märkte mit Sitz in den USA, Hongkong und Australien. Die Börsen in der Schweiz und im Vereinigten Königreich sind momentan nicht als gleichwertiger Drittlandshandelsplatz anerkannt.
  • Ein nach § 1 Abs. 2c GrEStG erfasster Anteilsübergang muss aufgrund eines Geschäfts über einen organisierten Markt, einen gleichwertigen Drittlandshandelsplatz oder ein MTF erfolgen. Als Beispiele für in der Regel nicht über einen begünstigten Wertpapierhandelsplatz abgewickelte Geschäfte werden die erstmalige Ausgabe von Anteilen einer Kapitalgesellschaft bei Börsengang (IPO), die Ausgabe neuer Anteile aufgrund einer Kapitalerhöhung sowie Wertpapierleihe, -darlehen und -pensionsgeschäfte aufgezählt.
  • Von der grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft anzuzeigen sind alle Rechtsvorgänge, die zur Verwirklichung des § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG geführt haben. Anteilsübergänge i. S. d. § 1 Abs. 2c GrEStG unterliegen nicht der Anzeigepflicht. Es besteht mangels Tatbestandsverwirklichung keine Anzeigepflicht, wenn infolge der Anwendung der Börsenklausel die erforderlichen Quoten für Zwecke des § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG nicht erfüllt werden.

Die Erlasse sind auf alle offenen Fälle anzuwenden.

Praxishinweis

Die nunmehr veröffentlichten Ländererlasse sind vom Umfang her sehr kurz gehalten. Sie bieten nur grundsätzliche Orientierung und wenig neue Erkenntnisse.

Der Anwendungsbereich der Börsenklausel ist insbesondere im Hinblick auf die Beschränkung der Börsenplätze eng gehalten. So genügt zwar – bezogen auf den konkreten Anteil – auch der Handel über ein MTF (z. B. im Freiverkehr in Deutschland), allerdings muss der Anteil (die Aktie) an einem der begünstigten Wertpapierhandelsplätze zugelassen sein. Demnach ist z. B. eine Anwendung der Börsenklausel auf den Handel von Aktien, die nur an nicht als gleichwertig anerkannten Drittlandshandelsplätzen gelistet und in Deutschland lediglich im Freiverkehr handelbar sind, ausgeschlossen.

Im Übrigen erfordert die Anwendung der Börsenklausel ein genaues Monitoring der Anteilsbewegungen von börsennotierten Unternehmen. Aufgrund der Anwendung der Börsenklausel auf alle offenen Fälle und damit auch auf Anteilsübertragungen vor dem 1. Juli 2021 kann im Einzelfall eine Überprüfung bereits abgeschlossener Vorgänge notwendig oder zumindest sinnvoll sein.

Autor

Stephan Franzen
Tel: +49 221 28 20 2456

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 4-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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