BGH: relevanter Zeitpunkt für die Kenntnis des Erwerbers von einem Mangel des Grundstücks

Der BGH hat sich mit Urteil vom 6. Mai 2022 (Az. V ZR 282/20) eingehend damit befasst, auf welchen Zeitpunkt für die Frage nach der Kenntnis eines Mangels abzustellen ist, wenn ein Erwerber sich im Rahmen des Grundstückskaufvertrags von einem vollmachtlosen Vertreter vertreten lässt und den Vertrag erst später nachgenehmigt.

Sachverhalt

Der klagende Makler hatte der beklagten Bauträgerin eine Büroimmobilie zum Kauf angeboten. Im Exposé wurde eine vermietbare Fläche von ca. 1.703,57 m² nebst Hofgebäude mit weiteren ca. 153,00 m² angegeben. Anfang April 2019 wurde der Kaufvertrag notariell beurkundet, wobei für beide Seiten vollmachtlose Vertreter*innen auftraten. Die Sachmängelhaftung wurde ausgeschlossen. Mitte April genehmigten beide Seiten den schwebend unwirksamen Vertrag. Spätestens Anfang Mai erfuhr die Beklagte, dass die vermietbare Wohnfläche des Hauptgebäudes tatsächlich nur 1.412,41 m² und die des Nebengebäudes nur 55,27 m² beträgt. Ende Mai übersandte die Beklagte ihre Genehmigungserklärung an den Notar und behielt sich etwaige Rechte wegen Sachmängeln vor. Der Kläger macht klageweise seine Maklerprovision geltend. Die Beklagte macht widerklagend – gegen Makler und Verkäufer – Schadensersatz in Höhe von mehr als 400.000,00 € wegen der Flächenabweichung und überzahlter Grunderwerbsteuer geltend. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

Inhalt der Entscheidung

Der BGH hat die Entscheidung der Vorinstanzen aufrechterhalten und dem vom Bauträger geltend gemachten Schadensersatzanspruch eine Absage erteilt.

Nach § 442 Abs. 1 BGB sind die Rechte des Käufers wegen eines Mangels, den er bei Vertragsschluss kennt, ausgeschlossen. Ausgangsfall ist dabei der wirksame Vertragsschluss bei beiderseitiger Anwesenheit vor dem Notar. Beim sogenannten gestreckten Verkauf, bei dem Angebot und Annahme zeitlich getrennt beurkundet werden, kommt der Vertrag erst mit Abgabe der letzten Willenserklärung wirksam (§ 177 Abs. 1 BGB) zustande. Der BGH stellt klar, dass § 442 Abs. 1 BGB in diesen Konstellationen zum Schutz des Erwerbers dahin gehend ausgelegt werden muss, dass auf den Zeitpunkt der Abgabe des Kaufangebots durch den Erwerber abzustellen ist (sog. teleologische Reduktion). Andernfalls käme es zu einem dem Erwerber nicht zumutbaren Schwebezustand bis zur Erklärung der Annahme des Verkäufers, in dem der Erwerber – ohne beeinflussen zu können, wie lange die Schwebezeit andauert – noch schädliche Kenntnis von etwaigen Mängeln erlangen könnte.

Diesen Rechtsgedanken überträgt der BGH in der vorliegenden Entscheidung auf die Fälle der vollmachtlosen Vertretung. Auch hier sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Erwerber sein Kaufangebot verbindlich abgegeben und in den Rechtsverkehr gebracht hat (§ 130 BGB).

Im Ergebnis kommt der BGH zu dem Schluss, dass die Flächenabweichung zwar durchaus einen Mangel darstellt, der der Beklagten bei Abschluss des notariellen Kaufvertrags noch nicht bekannt war. Auch hat die Beklagte vor Kenntnis des Mangels die Genehmigung des Kaufvertrags notariell beglaubigen lassen. Sie hat diese Genehmigungserklärung jedoch zunächst nicht in den Rechtsverkehr gebracht, sondern erst nach Kenntniserlangung an den beurkundenden Notar übersendet. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte die Beklagte noch frei entscheiden, ob sie den Kaufvertrag – trotz des bekannten Mangels – wirksam zustande bringen will.

Fazit und Ausblick

Der Bauträgerin ist am Ende auf die Füße gefallen, dass sie den schwebend unwirksamen Kaufvertrag zwar zeitnah nachgenehmigte, die Genehmigungserklärung jedoch erst deutlich später an den Notar übersendete.

Es ist daher bei – durchaus geschäftsüblichen – Vertragsschlüssen durch vollmachtlose Vertreter*innen darauf zu achten, dass die schwebend unwirksame Vereinbarung nicht nur unverzüglich nachgenehmigt, sondern diese Nachgenehmigungserklärung auch unverzüglich in den Rechtsverkehr gebracht wird, um „das Einfallstor“ für eine etwaige nachträgliche Kenntniserlangung zu schließen. Wie die Entscheidung des BGH eindrucksvoll zeigt, kann jede Kenntniserlangung in der Schwebezeit erhebliche Rechtsfolgen in Bezug auf Mängelgewährleistungsrechte – und damit ernstliche wirtschaftliche Einbußen – mit sich bringen.

Autor

David Pamer
Tel: +49 30 208 88 1167

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 4-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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