Die neue EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz – der Weg zu mehr Lohngleichheit?
Die neue EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz
Deutschland: das Entgelttransparenzgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern („Entgelttransparenzgesetz“ – EntgTranspG) gibt es in Deutschland bereits seit 2017. Ziel des Gesetzes ist es, das Entgeltgleichheitsgebot in der Praxis zu stärken und Möglichkeiten zu schaffen, Schadensersatzansprüche durchzusetzen.
Dazu sieht das Entgelttransparenzgesetz unter anderem vor, dass bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten ist, § 3 Abs. 1 EntgTranspG.
Zudem ist in §§ 10 ff. EntgTranspG der individuelle Auskunftsanspruch geregelt. Die Arbeitnehmer* innen haben einen Anspruch auf Auskunft, nach welchen Kriterien und Verfahren das eigene Entgelt festgelegt wurde und nach welchen Kriterien und Verfahren bei vergleichbaren Arbeitnehmern das Gehalt festgesetzt wurde. Darüber hinaus kann aber auch ein Auskunftsanspruch hinsichtlich der Vergütungshöhe vergleichbarer Kollegen geltend gemacht werden. Dieser Anspruch besteht jedoch erst ab einer Zahl von 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber. Ab 500 Beschäftigten sieht das Entgelttransparenzgesetz weiter vor, dass betriebliche Verfahren zur Überprüfung der Lohngleichheit eingeführt werden. Dabei müssen die Löhne regelmäßig mithilfe betrieblicher Prüfverfahren auf die Einhaltung des Gebots der Entgeltgleichheit überprüft und Arbeitnehmer*innen über die Ergebnisse informiert werden.
Ob das Gesetz tatsächlich dazu beigetragen hat, die gewünschte Entgeltgleichheit herzustellen, ist allerdings fraglich, denn in Deutschland betrug im Jahre 2022 die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern bei gleicher formaler Qualifikation noch immer 6 %. Zudem lassen die Erfahrungen aus der Praxis den Schluss zu, dass die bestehenden Rechte weder von den Arbeitnehmer*innen noch von den Betriebsräten umfassend und aktiv genutzt werden – zumindest bis dato.
Ein wichtiger Meilenstein bezüglich der Lohngleichheit war die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21). Erstmals wurde medienwirksam mit den Mitteln des Entgelttransparenzgesetzes und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes („AGG“) ein Arbeitgeber zur Nachzahlung einer – im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen – zu gering bemessenen Vergütung einer Frau verpflichtet. Nach Ansicht des Gerichts verstieß die Vergütung der Klägerin gegen das Verbot der Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts und Entgeltgleichheitsgebots aus §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG und der Klägerin wurde eine Entschädigung nach § 15 Abs. 1 AGG zugesprochen. Eine Besonderheit des Urteils liegt insbesondere auch in der Klarheit der Richter*innen, dass ein Verstoß gegen das EntgTranspG und das AGG nicht mit einem besseren Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen gerechtfertigt werden kann. Spätestens mit dieser Entscheidung wird deutlich, dass bei der Aushandlung von Vertragsbedingungen und im Besonderen der Ausgestaltung der Vergütung der freien Vereinbarung der Vertragsparteien deutliche Grenzen gesetzt sind.
Die neue EU-Richtlinie (EU) 2023/970 vom 10. Mai 2023
Das geschlechtsspezifische Lohngefälle ist nicht nur in Deutschland ein Problem, sondern in allen EU-Mitgliedsstaaten. Daher fanden auch in der EU Bemühungen statt, der Lohnungerechtigkeit entgegenzuwirken. Die EU-Kommission hatte eine Mitteilung vom 5. März 2020 mit dem Namen „Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020 – 2025“ veröffentlicht und darin angekündigt, sich für mehr Lohngleichheit einzusetzen. Einer der ersten Schritte der Strategie war der Vorschlag der Kommission für die Einführung einer verbindlichen Maßnahme zur Lohntransparenz am 4. März 2021. Sie legte hierzu den Entwurf einer Richtlinie zu mehr Gehaltstransparenz vor. Am 30. März 2023 billigte das EU-Parlament diesen Richtlinienentwurf.
Diese neue „EU-Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen („Entgelttransparenzrichtlinie“) ist zum 6. Juni 2023 in Kraft getreten.
Nachfolgend möchten wir einige der darin enthaltenen Regelungen vorstellen:
- Durch Art. 2 Abs. 3 i. V. m. Art. 5 Abs. 1 wird die Entgelttransparenz bereits für die Zeit zwischen Bewerbung und Unterzeichnung des Arbeitsvertrages gewährleistet. Demnach erhalten Bewerber*innen das Recht, Informationen zum (Einstiegs-)Entgelt zu verlangen.Die Abfrage des vorherigen Gehalts der Bewerber*innen ist künftig nicht mehr zulässig. Hier wird daher mit einer üblichen Praxis gebrochen, die Vergütungsverhandlung an dem bisherigen Entgelt festzumachen.
- Aufgrund von Art. 9 werden Arbeitgebern ab 100 Arbeitnehmern Berichtspflichten auferlegt, mit unterschiedlichem Beginn und Intervall: Ab 150 Arbeitnehmern sind die Betriebe ab dem 7. Juni 2027 dazu verpflichtet, Daten zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle vorzulegen. Arbeitgeber ab einer Größe von mehr als 250 Beschäftigten müssen diesen Bericht dann jährlich erstellen. Arbeitgeber mit 150 bis 249 Beschäftigten haben nach der erstmaligen Vorlage ein Berichtsintervall von drei Jahre einzuhalten. Bei einer Beschäftigtenanzahl von 100 bis 149 muss ein entsprechender Bericht erst bis zum 7. Juni 2031 erstmalig vorgelegt und anschließend im Abstand von drei Jahren wiederholt werden. In der Richtlinie ist allerdings nichts dazu geregelt, in welcher Form dieser Bericht zu erfolgen hat.Das Instrument einer Berichtspflicht ist nicht neu und bereits in § 21 EntgTranspG vorgesehen. Ein solcher Entgelttransparenzbericht gilt allerdings erst für Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten, die einen Lagebericht nach den §§ 264, 289 HGB erstellen müssen. Bislang war es ausreichend, den Entgelttransparenzbericht als Anlage zum Lagebericht im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Ob dies nach der Umsetzung der neuen Richtlinie immer noch ausreichen wird, bleibt abzuwarten.
- Arbeitnehmer*innen, die von einer Lohndiskriminierung betroffen sind, erhalten die Möglichkeit, ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen – Art. 16 bestimmt hierzu einen eigenen Schadensersatzanspruch.
- Für eine effektive Durchsetzbarkeit des Anspruchs, bestimmt Art. 18 Abs. 1 eine Beweislastumkehr, die das Risiko künftig auf den Arbeitgeber verlagert. Nicht die Arbeitnehmer*innen müssen darlegen und beweisen, dass sie bezüglich des Entgelts diskriminiert wurden, sondern der Arbeitgeber muss den Gegenbeweis dahingehend führen, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung vorlag.Ein Schadensersatzanspruch war bislang im Entgelttransparenzgesetz nicht vorgesehen. Diesbezüglich konnten sich die Betroffenen lediglich auf § 15 Abs. 2 S. 1 AGG stützen.
- Aufgrund von Art. 23 Abs. 1 wird es bei einem Verstoß gegen das Entgelttransparenzgesetz nicht ausschließlich bei Schadensersatzansprüchen der Arbeitnehmer*innen verbleiben.Die Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen wie Geldbußen für Verstöße gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts festlegen.Im Entgelttransparenzgesetz sind aktuell keine Sanktionen vorgesehen, was sicherlich dazu beigetragen hat, dass die Wahrnehmung in der Geschäftsleitung eine untergeordnete Rolle hatte.Deutschland hat nun drei Jahre Zeit, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Handlungsempfehlung für Unternehmen
Bereits im Zusammenhang mit dem BAG-Urteil (8 AZR 450/21) wurde ein Handlungsbedarf der Unternehmen erkennbar: Alle Betriebe ohne Tarifbindungen sollten Vergütungsstrukturen implementieren, die abhängig von der Qualifikation, Berufserfahrung und anderen objektiven Kriterien einen einzuhaltenden Vergütungsrahmen bilden. Nur so kann eine verlässliche Grundlage zur geschlechtsneutralen Vergütung geschaffen und eine ggf. im Prozess verlässliche Verteidigungsstrategie aufgebaut werden.
Ferner sollten sich die Unternehmen mit ggf. künftig aufkommenden Berichtspflichten und den schon bestehenden Auskunftspflichten beschäftigen und hierzu in einem ersten Schritt erste personelle Verantwortlichkeiten festlegen.
Ob dies der „goldene Weg“ zur Gleichberechtigung sein wird, wissen wir in einigen Jahren. Fest steht allerdings, dass die Unternehmen mit zusätzlichen Pflichten belastet werden, die nur einen mittelbaren Einfluss haben können, denn auch die kommenden Gesetze sehen keinen Automatismus vor, sondern können nur dann einen Effekt erzielen, wenn die Betroffenen sich ihrer Rechte auch bedienen.
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Autorinnen
Derya Kaya
Tel: +49 711 666 31 768
Melanie Heidrich
Tel: +49 711 666 31 63
Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.