„ESG braucht eine neue Risikokultur“
„ESG braucht eine neue Risikokultur“
Das Risikomanagement ist inzwischen ein zentrales Instrument der Unternehmenssteuerung geworden. Im Geschäftsbetrieb, aber auch bei der Strategieentwicklung können Unternehmen damit operative, rechtliche und prozessuale Risiken identifizieren und minimieren. Ein fortschrittliches Risikomanagementsystem verzahnt den Bereich Compliance mit der internen Revision, verankert eine Risikokultur in der Belegschaft und fördert Flexibilität sowie kurze Kommunikationswege.
Mit ESG stehen viele Unternehmen nun vor der Herausforderung, ihr fein abgestimmtes System neu kalibrieren zu müssen. In diesem Interview erklärt Stefan Schmal, Partner und Head of Consulting bei Forvis Mazars, warum die Anforderungen des Gesetzgebers, der Gesellschaft wie auch relevanter Stakeholder nicht bloß mehr Risiken, sondern auch neue Chancen mit sich bringen und darüber hinaus planbar sind.
Unternehmen stehen im Bereich Nachhaltigkeit zunehmend unter regulatorischem Druck. Wie wirkt sich das auf das Risikomanagement aus?
Unternehmen müssen immer stärker darauf achten, auch bei den Themen Nachhaltigkeit und ESG compliant mit nationalen und internationalen Vorgaben zu sein. Das erhöht wiederum die Komplexität des Compliance-Managements und erfordert viele neue Daten und Prozesse. Davon kann aber das gesamte Risikomanagement auch profitieren: Ganz einfach, indem es sich diese Daten nutzbar macht, um z. B. mehr über Geschäftspartner in der Lieferkette oder die Charakteristik lokaler Märkte zu erfahren. Die neu gewonnene Datengrundlage kann die Qualität der Risikoprognosen verbessern. Die Neufassung des IDW-Prüfungsstandards 340 erfordert ohnehin, dass die kurz- und mittelfristige Beurteilung der Risikotragfähigkeit von Unternehmen auf Basis nachvollziehbarer Zahlen erfolgt. Viele Unternehmen stehen daher aktuell vor der Herausforderung, ihre Risikomanagementstrukturen zu professionalisieren.
Das ESG-Risikomanagement umfasst Compliance-Risiken, aber auch betriebswirtschaftliche Gefahren. In welchen Risikobereichen spielt Sustainability besonders eine Rolle?
Unternehmen halten Compliance-Risiken unter Kontrolle, indem sie intern sicherstellen, dass sie alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Nachhaltigkeit ist dabei künftig ein weiterer wichtiger Faktor. Auch im betriebswirtschaftlichen Bereich drohen Gefahren. Nachhaltigkeit ist ein treibendes Thema in der Politik, der Gesellschaft sowie unter den Stakeholdern und beeinflusst damit Marktchancen wie auch Kaufentscheidungen. Unternehmen müssen sich daher umfassender als je zuvor damit auseinandersetzen, welche Auswirkungen die eigenen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen haben könnten. Einsparungen in der Produktion können z. B. die Umweltbilanz und damit die Nachfrage negativ beeinflussen. Dies wiederum wirkt sich auf die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells aus, auf die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte und vor allem auf die Reputation des Unternehmens. ESG braucht eine neue Risikokultur.
Die Umsetzung der neuen Berichtspflichten bedeutet eine Menge Arbeit für Unternehmen. Wie sieht es im Ausgleich dazu mit den Chancen aus?
Die neuen Berichtspflichten gelten für jedes Unternehmen, das die festgesetzten Kriterien erfüllt, gleichermaßen. Alle Unternehmen haben daher grundsätzlich die gleichen Startbedingungen. Die Frage ist aber, was ein Unternehmen daraus macht: Wie früh setzt es sich mit den neuen Anforderungen auseinander? Wie nachdrücklich verfolgt es die Umsetzung? Und erfüllt es die Anforderungen nur eins zu eins, oder geht es vorsorglich direkt einen Schritt weiter? Das alles entscheidet über die Chancen. Wenn Unternehmen schneller sind als der Wettbewerb, können sie Marktanteile gewinnen. Mit einem Produkt, das nachhaltiger ist, grenzt ein Unternehmen sich möglicherweise stärker von der Konkurrenz ab. Die neuen Berichtspflichten sind auch eine Gelegenheit, das Produktportfolio genau zu prüfen und anzupassen. Das kann dann auch handfeste betriebswirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Außerdem ist ein nachhaltig aufgestelltes Unternehmen ein attraktiver Arbeitgeber für neue Fachkräfte. Weitere Chancen ergeben sich aus den neuen Informationen, die Unternehmen für ihren Nachhaltigkeitsbericht sammeln, denn diese können auch für die eigene Strategieentwicklung relevant sein.
Gibt es Unterschiede im ESG-Risikomanagement zwischen großen Corporates und dem Mittelstand?
Größe und Komplexität des Unternehmens entscheiden wesentlich darüber, wie das ESG-Risikomanagement am besten organisiert wird. Internationale Unternehmen haben weitaus größere Datenmengen zu handhaben und müssen zudem die regulatorischen Anforderungen verschiedener Länder im Auge behalten sowie sicherstellen, dass diese auch eingehalten werden. Daher sind digitale Tools und Schnittstellen inzwischen unverzichtbar, um die komplexen Kommunikations- und Freigabeprozesse effizient abzubilden. Dagegen können mittelständische Unternehmen auf durchaus pragmatischere Lösungen zurückgreifen. Digitale Tools können allerdings auch hier dabei helfen, in kurzer Zeit einen strukturierten Prozess rund um die Datenerhebung und das Berichtsmanagement zu etablieren.
Was ist Unternehmen zu raten, die ESG noch gar nicht in ihr Risikomanagement aufgenommen haben? Was sollte der erste Schritt sein, um auf einen „grünen Zweig“ zu kommen?
Ein umfassend aufgesetztes Risikomanagement erfasst in der Regel bereits alle relevanten Risiken – auch ESG-Risiken. Diese sind aber häufig noch nicht als solche gelabelt. Eine interne Inventur kann dann ein wichtiger erster Schritt sein. Damit bekommen Unternehmen einen systematischen Überblick über verschiedene Risikofelder und können so ermitteln, in welchen Bereichen sie dringend handeln müssen. Wenn aber nur ein sehr rudimentäres Risikomanagement vorhanden ist, kommt es darauf an, durch eine erste Analyse zu klären, welchen ESG-Risiken das Unternehmen überhaupt ausgesetzt ist. Anschließend braucht es entsprechende Daten in einer Qualität, die für die Unternehmenssteuerung auch wirklich nutzbar sind.
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