Britische Regulierung: komplex, aber unbürokratisch

Von Deutschland aus internationale Compliance-Herausforderungen zu überblicken, fällt Unternehmen zunehmend schwer. Denn die Zahl an Regularien und Vorschriften wächst weltweit. Hinzu kommen lokale Unterschiede bei der Auslegung einzelner Bestimmungen, dem damit verbundenen Aufwand oder dem Umgang mit Regelverstößen. Unsere Board Briefing-Serie beleuchtet die Regulierungslandschaft ausgewählter Länder: Teil 1, das Vereinigte Königreich – zwischen Brexit und Präzedenzfällen.

Jan Kochtas Befund ist eindeutig: „Global gesehen nimmt das Maß an Regulierung für Unternehmen eher zu als ab“, sagt der Global Head of Legal bei Forvis Mazars. Gründe für diese Entwicklung sieht der Partner bei der internationalen Prüfungs- und Beratungsgesellschaft viele, darunter die verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Steuerflucht oder das Aufkommen neuer Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI). Selbst China bemühe sich, Regeln für den KI-Einsatz zu finden.

So sehr verlässliche Rahmenbedingungen im Interesse von Unternehmen liegen mögen: Neue Regeln erzeugen zusätzlichen Aufwand. Selbst kleinere deutsche Unternehmen kommen deshalb inzwischen kaum noch am Aufbau lokaler Compliance-Expertise vorbei – in allen Ländern, in denen sie am Markt vertreten sind. Wer sich das nicht leisten kann, greift auf externe Unterstützung zurück. „Wir registrieren eine steigende Zahl von Interessenten, die sich von uns auf gesetzliche Bestimmungen und Compliance-Herausforderungen in anderen Ländern vorbereiten und dazu laufend beraten lassen wollen“, berichtet Jan Kochta.

Seine britische Kollegin Claire Cowen ist Expertin für Steuerrecht und Regulierung. Vom Industriestandort Leicester aus unterstützt sie Unternehmen aus dem In- und Ausland dabei, die diesbezüglichen Herausforderungen im Vereinigten Königreich zu meistern. Diese sind nach Einschätzung des Institute of Directors in London nicht unerheblich: Der Zusammenschluss von Unternehmenslenker*innen kritisiert in einer aktuellen Analyse, dass die Regulierungsdichte die Arbeit von Vorständen erschwere.

Folgen des EU-Austritts machen die Lage unübersichtlich

„Tatsächlich ist das Vereinigte Königreich eine komplexe Umgebung für Unternehmen“, bestätigt Claire Cowen. Ein Grund dafür sei das Common Law: ein Rechtssystem, das weniger auf geschriebenen Gesetzen als auf Präzedenzfällen basiert. „Gesetze sind hier oft vage und lassen sich im Hinblick auf einen konkreten Sachverhalt nur schwer ohne Kenntnis früherer richterlicher Entscheidungen deuten“, erklärt die Partnerin bei Forvis Mazars. Und auch bei gründlicher Recherche bleibt der Interpretationsspielraum groß: „Denn aktuelle Rechtsfragen sind selten im Detail identisch mit den Präzedenzfällen.“

Der Brexit hat die Regulierungslandschaft zusätzlich verkompliziert. Als das Königreich noch Teil der Europäischen Union (EU) war, musste es europäische Gesetzesinitiativen umsetzen. „Als Faustregel galt, dass wir dabei häufig sogar härter vorgingen als die EU“, sagt Claire Cowen. So habe das Vereinigte Königreich Regeln zur Bekämpfung des Missbrauchs länderübergreifender Unternehmens-Steuermodelle, sogenannter „Hybrid Mismatch Arrangements“, zwei Jahre früher als andere Staaten eingeführt. Doch diese Faustregel für das Verhältnis von britischem Recht zu EU-Recht gilt nicht mehr.

Nicht nur die Pflicht zur Übernahme neuer Gesetzesinitiativen ist entfallen. Das Vereinigte Königreich kann zudem frei entscheiden, wie es mit den rund 7.000 britischen Gesetzen umgeht, die zum Ende der Übergangsperiode am 31. Dezember 2020 aus dem EU-Recht übernommen wurden. Bislang hat das englische Parlament Claire Cowen zufolge rund 1.400 davon aufgehoben und 1.000 geändert. Ein andauernder Prozess: Etliche Regeln würden noch geprüft, so die Regulierungsexpertin.

Beispiel Datenschutz: Unternehmen, die nicht der europäischen Datenschutz-Grundverordnung unterliegen, sollen künftig leichter Einwilligungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten einholen können. Zudem sollen sie nicht mehr detailliert aufzeichnen müssen, welche Daten sie verarbeiten. Es handelt sich allerdings um einen Gesetzesentwurf. Die neue Regierung könnte die Pläne also noch verändern.

Wie der Wahlsieg von Labour das Ergebnis beeinflussen wird, ist nach den Worten von Claire Cowen nicht absehbar. Hinzu kommt, dass Nordirland und Schottland über eigene gesetzgebende Versammlungen verfügen, die teilweise von der englischen Linie abweichen können.

Britische Ministerien und Behörden sind kooperativer

Noch immer sehr streng dagegen sind laut Claire Cowen die Regeln zum Arbeitsrecht, vor allem in Bezug auf den gesetzlichen Mindestlohn. Verstöße passierten leicht, auch versehentlich; schon kleine Fehler bei der Erfassung von Arbeitszeiten könnten ausreichen. „Unternehmen müssen nicht nur mit hohen Bußgeldern rechnen – ihre Namen werden zudem veröffentlicht, was ihren Ruf schädigt“, erklärt die Expertin von Forvis Mazars.

Im Vergleich zur Regulierungslandschaft in Deutschland sieht sie einen grundlegenden Unterschied: „Die Kommunikation zwischen Behörden und Unternehmen ist nicht so konfrontativ, sondern offener.“ Eine Einschätzung, die Ulrich Hoppe, geschäftsführender Direktor der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London, teilt: „Im Vereinigten Königreich herrscht ein eher partnerschaftliches Verhältnis: Wenn ein Fehler passiert, schaut man gemeinsam, wie es dazu kam.“ Hat sich ein Unternehmen an die Regeln halten wollen, dabei aber Fehler gemacht, sei auch ein Strafverzicht oft unproblematischer erreichbar.

Zudem ist das britische Compliance-Umfeld laut Ulrich Hoppe stärker ergebnisorientiert: „Wir Deutschen wollen oft jeden einzelnen Schritt regulieren. Die Briten schauen eher auf das Resultat – und sind flexibler in der Frage, wie jemand dorthin kommt.“ Trotz teils strenger Regeln bedeute das im Vergleich einen geringeren Verwaltungsaufwand für Unternehmen. Tatsächlich landet Großbritannien im jüngsten Ranking des Verbands der Familienunternehmen in Sachen Bürokratieabbau unter den ersten fünf, Deutschland dagegen abgeschlagen auf Platz 19 von 21.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, lobte in einem jüngst erschienenen Gastbeitrag im „Handelsblatt“ das Vereinigte Königreich gar als Vorbild bei der Umsetzung von Regulierungen, ohne dabei die Wirtschaft über Gebühr zu belasten. So arbeiteten Ministerien eng mit Verbänden, einzelnen Unternehmen und Sachverständigen zusammen, um Vorschriften so praktikabel wie möglich zu gestalten. Der Grund sei simpel, sagt Claire Cowen: „Die Verantwortlichen wollen es leicht machen, hier Geschäfte zu tätigen – das Vereinigte Königreich will wettbewerbsfähig sein.“

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