„Man darf selbst nicht stehen bleiben“
Frau Dr. Hofmann, angenommen, ich wäre Aufsichtsratschef eines mittelständischen Unternehmens. Der Vertrag mit dem aktuellen Amtsinhaber läuft in einem Jahr aus und wird nicht verlängert. Wie helfen Sie mir, rechtzeitig eine*n passende*n Kandidat*in zu finden?
Gerne helfe ich Ihnen bei Ihrer Suche. Ein Jahr Vorlauf ist eine bessere Ausgangslage, als spontan eine Vorstandsposition neu besetzen zu müssen. Dennoch sollten Sie damit rechnen, dass ich die zur Verfügung stehende Frist ausschöpfen würde. Als Erstes bitte ist Sie, sich Zeit zu nehmen für ein ausführliches Briefing-Gespräch, in dem wir das Anforderungsprofil in der Tiefe erarbeiten. Für eine erfolgreiche Vorstandsbesetzung ist es essenziell, dass ich wirklich verstehe: Wie ist der Kontext, in dem die Position besetzt wird? Welche Managementressourcen benötigt das Unternehmen in seiner spezifischen Situation? Und welches Führungsprofil muss der*die Kandidat*in erfüllen, um dort erfolgreich zu sein?
In vielen Fällen dürften bestimmte Qualifikationen wie akademische Ausbildung und Führungserfahrung selbstverständlich sein. Aber es gibt wahrscheinlich auch viele informelle Dinge bei der Besetzung einer Topstelle, die passen müssen. Wie gehen Sie damit um?
Gezielt und sehr strukturiert. Wir setzen uns mit dem Aufsichtsrat, aber auch mit anderen wichtigen Stakeholdern zusammen und besprechen einerseits, in welchem Umfeld sich das Unternehmen bewegt – der Markt, die Branche, die spezifischen Rahmenbedingungen und so weiter. Die Frage ist: Was sind die Herausforderungen, die der*die zukünftige Vorstand*Vorständin antrifft? Andererseits versuchen wir zu eruieren, was das für die Firma bedeutet: Wie sieht die Unternehmenskultur aus? Was sind die strategischen Ziele? Wohin steuert die Firma? Gibt es Übernahme- oder Expansionspläne? Am Ende muss klar definiert sein, wie das Mandat aussieht, das der*die angehende Stelleninhaber*in übernimmt; auch, damit die Suche gelingen kann.
Bevor die Suche startet, muss also klar definiert sein, was die*den Neue*n im Amt erwartet?
Genau. Ich will wissen: Suchen Sie jemanden, der das bisher Erreichte fortschreibt, oder geht es darum, eine kulturelle Transformation voranzutreiben und organisatorisch weiterzuentwickeln? Und es sollte klar sein, welche Führungspersönlichkeit den Stakeholdern vorschwebt. Mitunter legt der Aufsichtsrat großen Wert auf äußere Kriterien – Ausbildung, Promotion, einen stetigen Karriereweg, Internationalität und so weiter. Ein zusätzlicher Punkt kann sein: Hat die Person zum Beispiel auch Erfahrung in Wachstums-, Turnaround- oder Restrukturierungssituationen? Hier schließt sich dann meist der Kreis zum Kontext, in dem sich das Unternehmen befindet.
Egon Zehnder hat eine Studie erstellt, die Antworten auf die Frage liefert, welche Anforderungen Führungspersönlichkeiten heutzutage erfüllen sollten. Dabei zeigte sich: Im Umfeld von Permakrisen sind vor allen Dingen drei Skills wichtig: Beziehungsorientierung, Selbstreflexion und Anpassungsfähigkeit. Wie fragen Sie diese Fähigkeiten bei potenziellen Kandidat*innen ab?
Für eine Dauerhaftigkeit des Wechsels sollten sich Führungspersönlichkeiten aus unserer Sicht mit diesen drei Zukunftskompetenzen immer wieder beschäftigen, um ihr Standing zu hinterfragen und sich weiterzuentwickeln. Wir fragen diese Kompetenzen über ein Potenzialmodell ab, das wir über die vergangenen Jahrzehnte hinweg kontinuierlich verbessert haben. Dabei gehen wir in den Tiefeninterviews mit den Kandidat*innen auf vier Dimensionen ein: Das ist zunächst einmal Neugierde – nicht nur die Offenheit für neue Menschen und Themen, sondern auch als Motivation für Lernbereitschaft und die Fähigkeit, sich auch als Person weiterzuentwickeln. Dazu kommen Erkenntnisfähigkeit, Mobilisierungskraft und Entschlossenheit. Letzteres ist gerade in dieser Zeit wichtig. Sich selbst Ziele zu setzen, eine wirkliche Ambition für sich und die eigene Arbeit zu haben, aber auch für die Organisation, für die man tätig ist. Uns ist klar: Als Führungspersönlichkeit ist man heutzutage niemals fertig. Das Umfeld ist dafür einfach zu konstant in Bewegung. Und vermeintlich „weiche“ Faktoren wie die Fähigkeit, in echte Beziehungen mit vielen zu treten, sich seiner selbst bewusst zu sein und sich immer wieder neu zu hinterfragen und neu zu erfinden, machen den Unterschied hin zu echter Exzellenz. Wer stehen bleibt, verliert.
Das Anforderungsprofil, das Sie in diesem Prozess erarbeiten, klingt anspruchsvoll. Müssen Sie in Zeiten des Fachkräftemangels auch bei der Besetzung von Spitzenjobs zunehmend Abstriche machen?
Glücklicherweise ist der Mangel an Top-Führungspersönlichkeiten noch nicht so ausgeprägt wie bei jungen Fachkräften im gewerblichen Bereich oder in Handwerksberufen. Aber auch hier ist das Angebot begrenzt, was auch davon abhängt, wie eng das Zielprofil definiert ist. Je komplexer der Anforderungskatalog, desto schwieriger wird die Suche. Es gibt gleichwohl mehr und mehr Unternehmen, die bei der Suche nach Kandidat*innen sehr kreativ sind und zum Beispiel nicht zwingend voraussetzen, dass jemand aus derselben Branche kommt. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Diversität tut es vielen Firmen gut, neue Dynamik und Impulse aus anderen Branchen oder aus dem Ausland zu bekommen.
Theoretische Skills von Kandidat*innen sind das eine, am Ende muss stets die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmen. Was machen Sie, wenn nach erfolgreichen ersten Gesprächsrunden aus irgendwelchen Gründen der Funke bei einigen oder sogar den meisten Stakeholdern nicht überspringt?
Die Chemie, der kulturelle Fit, ist entscheidend – im Umkehrschluss ist es aber auch oft der Stolperstein, an dem eine Besetzung auf den letzten Metern scheitert. Deswegen haben wir immer die Präferenz, das gesamte Umfeld und gerade bei Vorstandsbesetzungen auch wirklich die Vorstellungen aller relevanten Bezugsgruppen kennenzulernen. Das ist leider nicht immer machbar – gerade wenn jemand vorzeitig ersetzt werden soll und die Suche sehr vertraulich laufen muss. Dann versuchen wir, über die Gespräche mit dem Aufsichtsrat und den Eigentümer*innen, die in jedem Fall stattfinden, die Unternehmenskultur zu verstehen. Was treibt das Unternehmen? Was sind Führungsverhaltensweisen? Was sind die Werte? Darauf achten wir dann auch ganz klar im Besetzungsprozess. Nehmen wir zum Beispiel an, es herrscht in der Organisation eine Kultur, in der das Miteinander im Mittelpunkt steht. Es gibt keine Silos. Dann legen wir von unserer Seite Wert darauf, Zielunternehmen und ihre Topleute von der Suchliste zu streichen, bei denen wir wissen, dass ein sehr hierarchischer, formeller Umgangsstil dominiert. Gleichzeitig legen wir im Interviewprozess und der abschließenden Bewertung der*des Kandidatin*Kandidaten den klaren Fokus auf die beschriebene Kulturkomponente. Führungspersönlichkeiten, gerade an der Spitze, entscheiden über das Wohl und Wehe eines Unternehmens – weshalb sich ein aufwendiger Auswahlprozess lohnt.
Zur Person:
Dr. Elke Hofmann leitet das Münchner Büro von Egon Zehnder sowie die deutsche Praxisgruppe CEO & Board Advisory des Beratungsunternehmens. Als Mitglied der CEO und der Executive Assessment & Development Praxisgruppen unterstützt sie Klienten bei der Besetzung von Vorstands- und Aufsichtsratspositionen. Sie führt darüber hinaus Management Appraisals sowie Team Effectiveness Reviews durch und betreut Führungspersönlichkeiten während der Startphase in einer neuen Position. Hofmann bringt weitreichende Managementerfahrung in unterschiedlichen Funktionen und Industrien mit. Unter anderem war sie 13 Jahre bei BP General Managerin für Asien, Brasilien und Europa. Ihre Karriere begann die studierte Ökonomin im Privat- und Geschäftskundengeschäft der Deutschen Bank, bevor sie als Senior Consultant zu Roland Berger Strategy Consultants wechselte.
Zum Unternehmen:
Egon Zehnder ist das führende Beratungsunternehmen für Executive Search und Leadership Advisory im deutschen Sprachraum. Die Besetzung von CEO- und Spitzenpositionen für Konzerne und Familienunternehmen, Start-ups und Institutionen der öffentlichen Hand gehört dabei ebenso zum Leistungsportfolio wie eine langfristige Nachfolgeplanung und die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten, Teams, Organisationen und Unternehmenskulturen.
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Fotocredit: Geraldine Graf, Egon Zehnder