Ausscheiden aus dem Amt – Die Krux mit den Aufsichtsratsunterlagen

Spätestens seit die Aufsichtsratshaftung kein Papiertiger mehr ist, sollten sich Aufsichtsratsmitglieder Gedanken darüber machen, ob ihnen in einem möglichen Organhaftungsprozess mit der Gesellschaft nach dem Ende ihrer Amtszeit ausreichende Informationen zu ihrer Verteidigung zur Verfügung stehen würden. Es kann sich anbieten, im Aufsichtsrat gelegentlich folgende Fragen zu evaluieren: Wie wird die Rückgabe und Aufbewahrung von Aufsichtsratsunterlagen in der Gesellschaft gehandhabt? Besteht Regelungsbedarf für den Zugang ausgeschiedener Aufsichtsratsmitglieder zu Aufsichtsratsunterlagen in einem möglichen Haftungsprozess mit der Gesellschaft?

Ausgangslage

Aufsichtsratsmitglieder haften der Gesellschaft sinngemäß nach den gleichen Grundsätzen wie Vorstandsmitglieder für Schäden, die sie durch die sorgfaltswidrige Verletzung ihrer Aufsichtsratspflichten verursachen. Der Vorstand ist grundsätzlich verpflichtet, potenzielle Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen aktuelle und frühere Aufsichtsratsmitglieder zu verfolgen. Erhebt die Gesellschaft Klage, müssen die Aufsichtsratsmitglieder darlegen und beweisen, dass sie pflichtgemäß gehandelt haben. Dieser Nachweis kann in Anbetracht der langen Verjährungsfrist von zehn Jahren für börsennotierte Unternehmen und Kreditinstitute sowie fünf Jahren für nicht börsennotierte Unternehmen, jeweils ab Schadenseintritt, lange Zeit nach dem Ausscheiden eines Aufsichtsratsmitglieds aus dem Amt erforderlich werden. Vor diesem Hintergrund kommt Aufsichtsratsunterlagen, die möglicherweise entlastende Umstände für beklagte Aufsichtsratsmitglieder dokumentieren, eine besondere Bedeutung zu. Aufsichtsratsmitglieder dürfen diese jedoch nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt in der Regel nicht behalten. Daher stellt sich die Frage, wo und wie lange sie aufbewahrt werden müssen, wie ein ausgeschiedenes Aufsichtsratsmitglied gegebenenfalls auf sie zugreifen kann und welche technischen und rechtlichen Lösungsansätze es für Zweifelsfragen und Grauzonen gibt. Diesen Fragen soll im Folgenden nach einem kurzen Überblick über die Grundsätze der Aufsichtsratshaftung gegenüber der Gesellschaft nachgegangen werden.

Grundsätze der Aufsichtsratshaftung gegenüber der Gesellschaft

1. Haftungstatbestand

Das Aktiengesetz (AktG) verweist für das Haftungsregime für Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft auf die sinngemäße Anwendung der Regeln für Vorstandsmitglieder (§§116, 93 AktG). Danach haften Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft auf Schadensersatz, wenn sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds schuldhaft verletzen und der Gesellschaft durch diese Pflichtverletzung ein Schaden entsteht. Potenziell kann sich eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern aus sämtlichen Sorgfaltspflichtverletzungen im Zusammenhang mit ihrem Mandat ergeben. Im Bereich unternehmerischer Entscheidungen, beispielsweise der Zustimmung zu einer M&A-Transaktion, wird dem Aufsichtsrat ein Ermessensspielraum zugestanden: Stellt sich später heraus, dass die Transaktion verlustbringend ist, weil etwa die Geschäftsplanannahmen für die Zielgesellschaft zu optimistisch waren, scheidet eine Sorgfaltspflichtverletzung und damit auch eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder aus, wenn sie bei ihrer Entscheidung annehmen durften auf angemessener Informationsbasis im Unternehmensinteresse zu handeln (Business Judgment Rule). Haben Aufsichtsratsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds verletzt, begründet dies in aller Regel nicht nur eine Pflichtwidrigkeit, sondern auch Verschulden.

2. Darlegungs- und Beweislast im Haftungsprozess

Brisant ist die tatbestandliche Weite potenziell haftungsträchtiger Pflichtverstöße für Aufsichtsratsmitglieder vor allem durch die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in einem möglichen Haftungsprozess. Abweichend vom Normalfall, in dem der Kläger alle anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen muss, lässt es das AktG ausreichen, wenn die Gesellschaft darlegt und beweist, dass ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds vorliegt, dass und in welcher Höhe die Gesellschaft einen Schaden erlitten hat und dass das Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds ursächlich für den Schaden war. Demgegenüber muss das auf Schadensersatz in Anspruch genommene Aufsichtsratsmitglied darlegen und beweisen, dass es nicht pflichtwidrig gehandelt hat, sondern seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist. Im Anwendungsbereich der Business Judgment Rule müssen Aufsichtsratsmitglieder im Haftungsprozess darlegen und beweisen, dass sie im Rahmen des ihnen eingeräumten Ermessens gehandelt haben. Dies setzt insbesondere den Nachweis der Entscheidung auf angemessener Informationsgrundlage und im Interesse der Gesellschaft voraus.

Entlasten kann sich ein beklagtes Aufsichtsratsmitglied grundsätzlich auch durch den Nachweis fehlenden Verschuldens, was jedoch nur sehr selten gelingt. Da, wie oben beschrieben, die Sorgfaltspflichtverletzung in der Regel auch Verschulden begründet, kommt der isolierte Nachweis fehlenden Verschuldens bei pflichtwidrigem Verhalten nur in eng umgrenzten Ausnahmesituationen in Betracht, etwa wenn der Aufsichtsrat bei seiner Entscheidung einem unverschuldeten Rechtsirrtum unterlag. Dies ist in einem Szenario denkbar, in dem sich der Aufsichtsrat bei dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt, beispielsweise der Zustimmung zu einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage, zur Frage der Einlagefähigkeit bestimmter Vermögenswerte auf die Beratung durch einen unabhängigen rechtlichen Berater verlassen hat, dessen Rechtsrat jedoch unzutreffend war. Die Enthaftung des Aufsichtsrats setzt in diesem Fall voraus, dass die Beratung durch einen unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Rechtsanwalt erfolgte, dem alle für seine Beratung erforderlichen Informationen zur Verfügung standen, und dass der Aufsichtsrat den Rechtsrat einer eigenen Plausibilitätsprüfung unterzogen hat.1 Darüber hinaus kommt eine Enthaftung auch in Betracht, wenn ein beklagtes Aufsichtsratsmitglied nachweisen kann, dass der Schaden der Gesellschaft auch bei pflichtgemäßem Verhalten auf jeden Fall eingetreten wäre.

Die vorstehend beschriebene Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Haftungsprozess der Gesellschaft gegen Aufsichtsratsmitglieder gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) grundsätzlich auch für ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder. Allerdings können sich in diesem Fall die Anforderungen an die Gesellschaft zur Darlegung eines möglicherweise pflichtwidrigen Verhaltens des beklagten Aufsichtsratsmitglieds verschärfen. An der grundsätzlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Haftungsprozess der Gesellschaft gegen ein Aufsichtsratsmitglied, insbesondere der Pflicht des ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds nachzuweisen, dass es seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, ändert auch die erweiterte Darlegungslast der Gesellschaft nichts.

Pflicht zur Herausgabe von Unterlagen beim Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat

In Anbetracht des oben beschriebenen Haftungsregimes und der auch ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder treffenden Darlegungs- und Beweislast in einem möglichen Haftungsprozess mit der Gesellschaft wird schnell erkennbar, dass den Aufsichtsratsunterlagen eine zentrale Rolle zukommt. Zu den Aufsichtsratsunterlagen gehören Sitzungsprotokolle, sonstige Sitzungsunterlagen und Informationsträger, die im Zusammenhang mit dem Amt in den Besitz des Aufsichtsratsmitglieds gelangt sind. Ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder haben bei ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft über die in ihren Besitz gelangten Aufsichtsratsunterlagen Auskunft zu erteilen und diese herauszugeben. Dies gilt auch für Duplikate oder Kopien. Dabei soll es nicht darauf ankommen, ob die Unterlagen geheimhaltungsbedürftige oder vertrauliche Informationen enthalten oder nicht. Vielmehr soll dem berechtigten Interesse der Gesellschaft daran Rechnung getragen werden, dass die Aufsichtsratsunterlagen oder Kopien davon nicht bei ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitgliedern verstreut bleiben und in unbefugte Hände geraten können. Begründet werden die Auskunfts- und Herausgabepflicht mit den für Geschäftsbesorgungsverträge geltenden Regelungen, die entsprechend anwendbar seien.

Häufig ist die Herausgabepflicht von im Besitz der ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieder befindlichen Aufsichtsratsunterlagen auch in der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat explizit geregelt. Auch hierzu hat der BGH festgestellt, dass eine derartige Regelung unproblematisch wirksam und ergänzend dahingehend auszulegen ist, dass sie auch eine Verpflichtung enthält, über den Verbleib fehlender Unterlagen Auskunft zu geben.2 Soweit die Geschäftsordnung im Einzelfall vorsieht, dass nur vertrauliche Aufsichtsratsunterlagen zurückzugeben sind, sollte im Gremium überlegt werden, ob diese Regelung hinreichend klar ist. Möglicherweise ist es leichter handhabbar, in der Geschäftsordnung die Pflicht zur Rückgabe sämtlicher Aufsichtsratsunterlagen festzuschreiben und dafür das Einsichtsrecht großzügig zu regeln (dazu unten mehr). Zum Teil wird in der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat auch geregelt, dass das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied die Aufsichtsratsunterlagen zurückzugeben oder ihre Vernichtung zu bestätigen hat. Der Vernichtung können rechtliche Hindernisse entgegenstehen, wie etwa eine so genannte Legal Hold Mitteilung, die im Zusammenhang mit einem beispielsweise in den USA drohenden oder anhängigen Rechtsstreit zur Vermeidung rechtlicher Nachteile die Aufbewahrung aller potenziell relevanten Informationen erfordert. Von solchen Ausnahmesituationen abgesehen ist bei physisch ausgehändigten Unterlagen die Vernichtung eine Alternative zur Rückgabe, die den Interessen der Gesellschaft gleichermaßen Rechnung trägt. Hat das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied persönliche Notizen auf den Aufsichtsratsunterlagen angebracht, hindert das die Rückgabepflicht nicht. Anderenfalls könnte jedes Aufsichtsratsmitglied die Rückgabepflicht ohne weiteres aushebeln. Eine andere Frage ist, ob Aufsichtsratsmitglieder, die persönliche Notizen auf den Aufsichtsratsunterlagen angebracht haben und nicht wollen, dass diese an die Gesellschaft gelangen, mit dieser Begründung auch ohne entsprechende Regelung in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats verlangen können, die Aufsichtsratsunterlagen zu vernichten statt sie zurückzugeben. Eindeutig beantworten lässt sich dies nicht. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Rückgabepflicht sollte die Vernichtung und entsprechende Bestätigung jedoch ausreichend sein.

Bisher wenig diskutiert ist die Frage, was die Herausgabepflicht der im Besitz der Aufsichtsratsmitglieder befindlichen Unterlagen bedeutet, wenn die Gesellschaft Aufsichtsratsunterlagen in elektronischer Form, etwa per E-Mail oder in einem elektronischen Datenraum, etwa über eine elektronische Aufsichtsratsplattform, gegebenenfalls auch ausschließlich auf einem von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Tablet, gewährt. Soweit die betreffenden Unterlagen ausgedruckt werden können, gilt für die Ausdrucke das vorstehend zu physischen Unterlagen Gesagte. Bei per E-Mail übermittelten oder auf dem eigenen PC des ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds gespeicherten Unterlagen sollte auch ohne entsprechende Verpflichtung in der Geschäftsordnung eine Pflicht zur Vernichtung, d.h. Löschung bestehen. Unternehmenseigene Tablets sind zurückzugeben. Wird für den Aufsichtsrat ein elektronischer Datenraum genutzt, wird mit dem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat in der Regel der Zugang der betreffenden vormaligen Aufsichtsratsmitglieder zu dem elektronischen Datenraum deaktiviert. Damit befinden sich die Unterlagen nicht mehr im Herrschaftsbereich der Aufsichtsratsmitglieder und können nicht in unbefugte Hände gelangen, was der Situation nach der Rückgabe bzw. Vernichtung physisch ausgehändigter bzw. per E-Mail übermittelter oder auf dem eigenen PC gespeicherter Unterlagen entspricht. Gleiches gilt, wenn das unternehmenseigene Tablet zurückgegeben wird. Bei der Nutzung eines elektronischen Datenraums stellt sich auch die Frage, was mit auf den Dokumenten angebrachten Kommentaren geschieht. Solange Zugang zu dem Datenraum besteht, kann das Aufsichtsratsmitglied seine selbst angebrachten Kommentare in der Regel löschen. Geschieht dies nicht, verbleiben die kommentierten Dokumente im Datenraum und sollten dann auch so archiviert werden. Dies würde einem ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglied in einem späteren Haftungsprozess den Zugang zu den relevanten kommentierten Unterlagen ermöglichen (siehe Abschnitt unten).

Unklar ist, ob zu den herausgabepflichtigen Unterlagen auch durch das Aufsichtsratsmitglied selbst zur Sitzungsvorbereitung oder während einer Sitzung außerhalb von den von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Unterlagen erstellte Notizen, Fragelisten, Sprechzettel und ähnliche Arbeitshilfen gehören.3 Wendet man auch hier die Grundsätze der Geschäftsbesorgung an, sollten zum Zweck der Erfüllung der Aufsichtsratspflichten erstellte Arbeitshilfen nicht zu den herausgabepflichtigen Aufsichtsratsunterlagen gehören. Dies sollte im Interesse der Aufsichtsratsmitglieder in der Geschäftsordnung klargestellt werden. Solche Arbeitshilfen unterliegen auch nach dem Ausscheiden des Aufsichtsratsmitglieds aus dem Amt der Vertraulichkeit und sind daher, falls sie nicht vernichtet werden, von dem ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglied vertraulich und angemessen gesichert aufzubewahren.

Aufbewahrungspflicht der Gesellschaft

Da Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich zur Herausgabe der erlangten Aufsichtsratsunterlagen verpflichtet sind, ist umso wichtiger, ob und wie lange Aufsichtsratsunterlagen bei der Gesellschaft verfügbar sind. Soweit Aufsichtsratsunterlagen nach ihrem Inhalt handels- oder steuerrechtlichen Aufbewahrungspflichten unterliegen, gilt jedenfalls die sechs- bzw. zehnjährige Aufbewahrungsfrist ab dem Schluss des Kalenderjahrs der Erstellung. Diese gesetzlichen Aufbewahrungspflichten und -fristen betreffen in der Praxis nur die wenigsten Aufsichtsratsunterlagen. Auch jenseits der gesetzlich geregelten Fälle sind Aufsichtsratsunterlagen grundsätzlich aufzubewahren. Für Aufsichtsratsprotokolle (und zwar im Original) ist dies einhellig anerkannt, da nur so ihr Sinn und Zweck, das Handeln des Aufsichtsrats feststellbar und nachprüfbar zu machen, erfüllbar ist. Ähnliches dürfte für die meisten anderen Aufsichtsratsunterlagen gelten. Was die Dauer der Aufbewahrung anbelangt, wird teils auf die Verjährungsregeln für die Organhaftungsansprüche der Gesellschaft abgestellt, teilweise von einer dauerhaften oder jedenfalls möglichst langfristigen Aufbewahrungspflicht ausgegangen, zumindest für Sitzungsprotokolle und sonstige besonders wichtige Unterlagen. Datenschutzrechtliche Fragen sollten sich dann nicht stellen, wenn man Aufsichtsratsunterlagen zutreffender Weise als Daten der Gesellschaft und nicht der betroffenen Organmitglieder ansieht.4 Die Modalitäten der Aufbewahrung bestimmt der Aufsichtsratsvorsitzende; auch eine Aufbewahrung außerhalb seiner Sphäre ist möglich, sofern die Vertraulichkeit der Aufsichtsratsunterlagen gewahrt ist. Rein praktisch können und sollten bei der Aufbewahrung der Aufsichtsratsunterlagen die Möglichkeiten der Digitalisierung, insbesondere elektronische Datenräume, genutzt werden, so dass auch der langfristigen Archivierung von Aufsichtsratsunterlagen keine Kapazitäts- oder Zumutbarkeitsbedenken entgegenstehen sollten. Zudem erleichtert eine elektronische Archivierung die Identifizierung und das spätere Auffinden von Dokumenten für ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder, sollte es zu einem Organhaftungsprozess kommen. In der Geschäftsordnung könnte daher geregelt werden, dass die Aufsichtsratsunterlagen unter Wahrung der Vertraulichkeit in einer geeigneten elektronischen Form aufbewahrt werden. Was die Aufbewahrungsfrist angeht, könnte grundsätzlich für alle Aufsichtsratsunterlagen unbefristete Aufbewahrung vorgesehen werden oder jedenfalls für die Aufsichtsratsprotokolle und weitere vom Aufsichtsratsvorsitzenden als besonders bedeutend eingestufte Unterlagen. Für alle sonstigen Aufsichtsratsunterlagen sollte die Aufbewahrungsfrist im Hinblick auf den Verjährungseintritt bei Haftungsansprüchen wegen der Nichtgeltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder in der börsennotierten Gesellschaft oder einem Kreditinstitut jedenfalls länger als 20 Jahre, in der nicht börsennotierten Gesellschaft jedenfalls länger als 10 Jahre betragen.

Einsichtsrecht in Aufsichtsratsunterlagen nach dem Ausscheiden aus dem Amt

Als Gegenstück zu der Herausgabepflicht von in seinem Besitz befindlichen Aufsichtsratsunterlagen hat das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied bei Inanspruchnahme durch die Gesellschaft auf Schadensersatz einen Anspruch auf Einsicht in die für seine Verteidigung maßgeblichen physischen und elektronischen Aufsichtsratsunterlagen. Das Einsichtsrecht reicht jedoch nur so weit, wie es zur Verteidigung gegen einen Haftungsanspruch der Gesellschaft erforderlich ist. Das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied soll so gestellt werden, als wäre es im Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch die Gesellschaft noch im Amt und hätte Zugriff auf die einschlägigen Dokumente. Allerdings trifft das beklagte vormalige Aufsichtsratsmitglied die Darlegungslast für die Notwendigkeit der Einsichtnahme in die Aufsichtsratsunterlagen für seine Verteidigung. Auch wenn die Aufsichtsratsunterlagen, deren Einsicht verlangt wird, nicht im Einzelnen bezeichnet werden müssen, bedarf es doch einer thematischen Eingrenzung im Hinblick auf das von der Gesellschaft angeführte möglicherweise pflichtwidrige Handeln. So wichtig das Einsichtsrecht des ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds ist, so offensichtlich ist auch, dass es ohne weitergehende Konkretisierung in der Geschäftsordnung mit praktischen und rechtlichen Unsicherheiten behaftet ist. Wie soll das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied in der Lage sein, erforderliche Unterlagen zu umschreiben, wenn es nicht (mehr) weiß, welche Aufsichtsratsunterlagen zu einem bestimmte Themenkomplex vorhanden sind? Was sind maßgebliche Aufsichtsratsunterlagen und inwieweit ist die Einsichtnahme zur Verteidigung erforderlich?

Zur Klärung dieser Zweifelsfragen und im Interesse einer möglichst einfachen praktischen Handhabung des Einsichtsrechts in die Aufsichtsratsunterlagen könnte in der Geschäftsordnung geregelt werden, dass das auf Schadensersatz in Anspruch genommene ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied Zugang zum sortierbaren und durchsuchbaren elektronischen Index sämtlicher während seiner Amtszeit zur Verfügung gestellten Aufsichtsratsunterlagen sowie zu sämtlichen Sitzungsprotokollen seiner Amtszeit bekommt. Mit dieser Erinnerungsstütze sollte das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied in der Lage sein potenziell relevante für seine Verteidigung erforderliche weitere Dokumente zu identifizieren, die dem ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglied (bzw. seinem Rechtsberater) dann im elektronischen Datenraum zugänglich gemacht werden. Je nachdem, wie die elektronische Archivierung der Aufsichtsratsunterlagen erfolgt, sollte es zumindest bei der Nutzung eines elektronischen Datenraums technisch auch möglich sein, dass das ausgeschieden Aufsichtsratsmitglied Einsicht in „seine“ gegebenenfalls kommentierte Fassung der Sitzungsprotokolle und der sonstigen als relevant und erforderlich identifizierten sonstigen Aufsichtsratsunterlagen bekommt. Technische Schwierigkeiten könnten bei einem Wechsel des Datenraumanbieters durch die Gesellschaft entstehen. Hier sollte überlegt werden, ob und inwieweit kommentierte Unterlagen ausgeschiedener Aufsichtsratsmitglieder migriert oder anderweitig elektronisch archiviert werden können.

Ausscheidensvereinbarungen mit Aufsichtsratsmitgliedern?

In der Literatur findet sich vereinzelt der Vorschlag, dass der Zugang ausgeschiedener Organmitglieder zu Beweisunterlagen aus ihrer Amtszeit im Rahmen ihres Dienstvertrages verhandelt und geregelt werden sollte.5 Dieser Vorschlag kann sich wohl nur auf Vorstände und Mitglieder fakultativer Aufsichtsräte oder Beiräte beziehen. Das Verhältnis eines Aufsichtsratsmitglieds zur Gesellschaft ist rein gesellschaftsrechtlicher Natur. Ein davon zu unterscheidendes Dienst- oder Anstellungsverhältnis, das die Organtätigkeit und die dafür gewährte Vergütung zum Gegenstand hat, besteht nicht und kann zulässigerweise auch nicht begründet werden. Insofern besteht neben dem AktG, der Satzung und der Geschäftsordnung kein Gestaltungsspielraum. Dem Abschluss individualvertraglicher Vereinbarungen steht auch die strenge Gleichberechtigung aller Aufsichtsratsmitglieder entgegen: Sämtliche Aufsichtsratsmitglieder unterliegen den gleichen Rechten und Pflichten, insbesondere der gleichen Verpflichtung im Interesse der Gesellschaft zu handeln, derselben Verantwortung und denselben potenziellen Haftungsansprüchen. Zudem ist unklar, wer die Gesellschaft beim Abschluss eines Dienstvertrags oder einer Ausscheidensvereinbarung mit einem Aufsichtsratsmitglied vertreten sollte. Daher erscheint die Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat als der geeignetere Ort einheitliche Regelungen für den Zugang ausgeschiedener Aufsichtsratsmitglieder zu Aufsichtsratsunterlagen im Fall ihrer Inanspruchnahme durch die Gesellschaft zu treffen. Dabei sollten spätere Änderungen der Geschäftsordnung nicht zum Nachteil ausgeschiedener Aufsichtsratsmitglieder wirken.

Fazit

Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast in einem möglichen Haftungsprozess mit der Gesellschaft sollte der Aufsichtsrat gelegentlich die in der Gesellschaft geübte Praxis zur Aufbewahrung von Aufsichtsratsunterlagen, zu deren Rückgabe beim Ausscheiden aus dem Amt und zum Zugang zu Informationen nach dem Ausscheiden evaluieren.

Die Nutzung elektronischer Datenräume mit Index-, Such- und Sortierfunktionen bietet Vorteile für die Aufbewahrung von Aufsichtsratsunterlagen und die Identifizierung relevanter Unterlagen nach dem Ausscheiden.

In der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat sollten vom Aufsichtsratsmitglied erstellte persönliche Arbeitshilfen von der Herausgabepflicht beim Ausscheiden ausgenommen werden. Weiterhin sollte ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitgliedern in der Geschäftsordnung der Zugang zu den Sitzungsprotokollen ihrer Amtszeit sowie zum (elektronischen) Index aller auf ihre Amtszeit entfallenden Aufsichtsratsunterlagen gewährt werden.

____________________________

1 Allgemein zur Darlegungs- und Beweislast im Organhaftungsprozess und zum Informationsrecht ausgeschiedener Organmitglieder, Born, in: Handbuch Managerhaftung, 4. Aufl. 2023, Rn. 16.7 ff., 16.33 ff.
2 BGH, NZG 2008, 834 ff.
3 Meckbach, NZG 2019, 590 ff.
4 Zur Dauer der Aufbewahrungspflichten allgemein: Habersack, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 6. Aufl., § 107 Rn. 91; Bingel, in: Handbuch Aufsichtsrat, Rn. 570; zu den datenschutzrechtlichen Aspekten: Reichert/Groh, in NZG 2021, S. 1381 ff.
5 Meckbach, in NZG 2015, 580 ff.; gegen die Zulässigkeit dienstvertraglicher Regelungen mit Aufsichtsräten: Schmid, in: Vertragsgestaltung für Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte, Abschnitt D. Rn. 1 ff.; Habersack, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 6. Aufl., § 101 Rn. 67.

Autorin

  • Dr. Gabriele Apfelbacher, Rechtsanwältin, Mitglied des ADAR Fachausschusses Aufsichtsratsbüro, Aufsichtsrätin in Deutschland und Irland

Quelle