Klimawandelrisiken im ORSA – Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Solvency-II-Richtlinie

05.11.2021 – Nachhaltigkeit und Klimawandel spielen eine besondere Bedeutung im Geschäftsmodell von Versicherungsunternehmen: Während sie als Kapitalanleger bei der strategischen Asset-Allokation verstärkt ökologische, soziale und gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen, übernehmen sie als Risikoträger außerdem die finanziellen Schäden von Naturkatastrophen.

Da der Klimawandel regionale Wetterextreme beeinflusst, treten letztere häufiger und in höherem Ausmaß auf. Versicherungsunternehmen müssen diese höheren Risiken in ihrem Pricing und ihrem Risikomanagementsystem angemessen berücksichtigen.

Die EIOPA hat bereits im April 2021 zur Berücksichtigung von Klimawandelszenarien und deren Risiken im ORSA Stellung genommen. Die Europäische Kommission hat darüber hinaus am 22. September 2021 einen Richtlinienvorschlag zur Änderung der Solvency-II-Richtlinie (2009/138/EG) veröffentlicht. In diesem Vorschlag sind zwei neue Artikel vorgesehen, die sich mit Nachhaltigkeitsrisiken bzw. Klimawandelszenarien beschäftigen. Was diese Vorschriften beinhalten und welcher Handlungsbedarf sich ergibt, stellen wir nachfolgend dar.

Artikel 45a: Analyse von Klimawandelszenarien

Artikel 45a Abs. 1 sieht vor, dass Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen im Zuge des ORSA bei der Identifikation und Bewertung von Risiken auch bewerten, ob sie wesentlichen Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel ausgesetzt sind. Ist dies der Fall, dann haben sie gemäß Artikel 45a Abs. 2 mindestens zwei langfristige Klimawandelszenarien zu betrachten. Als Mindestumfang werden in diesem Zusammenhang zwei Szenarien vorgeschrieben, welche gemäß Absatz 4 jedoch mindestens alle drei Jahre überprüft und bei Bedarf aktualisiert werden müssen: (1) ein langfristiges Klimawandelszenario, bei dem der globale Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius bleibt, und (2) ein langfristiges Klimawandelszenario, bei dem der globale Temperaturanstieg mindestens zwei Grad Celsius beträgt. Im Rahmen des ORSA hat sodann eine Analyse der Auswirkungen der vom Unternehmen festgelegten Klimawandelszenarien auf dessen Geschäftstätigkeit zu erfolgen (Abs. 3). Diese Analyse ist in regelmäßigen Abständen durchzuführen, die im Hinblick auf Art, Umfang und Komplexität der wesentlichen Klimawandelrisiken angemessenen sind – jedoch mindestens alle drei Jahre. Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, die ein niedriges Risikoprofil im Sinne der neuen Artikel 29a ff. vorweisen, sind von der Definition der Klimawandelszenarien und der Analyse ihrer Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit befreit (Abs. 5).

Die Berücksichtigung von Klimawandelszenarien und -risiken im ORSA ist bereits von der EIOPA in ihrer Stellungnahme im April 2021 vorgesehen. Die Stellungnahme ist als Konkretisierung des Artikels 45a heranzuziehen. Neben der Beschreibung des Ziels der Analyse von Klimawandelszenarien werden zunächst Klimawandelrisiken definiert und in zwei Kategorien eingeteilt: (1) die Transitionsrisiken aus der Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft und (2) die physischen Risiken, die aus den unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels resultieren. Außerdem werden die Klimawandelszenarien und die Wesentlichkeitsbeurteilung von Klimawandelszenarien konkretisiert.

Da die Analyse der Klimawandelszenarien für viele Unternehmen eine Neuheit ist, sieht die EIOPA qualitative Analysemethoden zunächst als ausreichend an. Mit zunehmendem Aufbau von Know-how wird aber eine systematische Verbesserung der Analysemethoden erwartet.

Artikel 304a: Überprüfungen hinsichtlich des Nachhaltigkeitsrisikos

In Artikel 304a Abs. 1 wird der EIOPA der Auftrag erteilt, die aufsichtsrechtliche Behandlung von Risikopositionen zu bewerten, die sich auf Vermögenswerte und Tätigkeiten beziehen, die wesentlich mit ökologischen oder sozialen Zielen bzw. der Beeinträchtigung dieser Ziele verbunden sind. Die EIOPA hat dabei den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) zu konsultieren. Der finale Bericht der EIOPA soll der Europäischen Kommission bis zum 28. Juni 2023 vorliegen. Er soll die gewonnenen Erkenntnisse, eine Erläuterung der möglichen aufsichtsrechtlichen Behandlung sowie eine Bewertung der Auswirkungen der vorgeschlagenen Änderungen beinhalten.

Gemäß Absatz 2 hat die EIOPA außerdem – in Bezug auf das Naturkatastrophenrisiko – mindestens alle drei Jahre den Umfang sowie die Kalibrierung der Standardparameter des Nichtleben-Katastrophenrisikountermoduls der Solvenzkapitalanforderung gemäß Artikel 105 Abs. 2 Unterabs. 3 Buchst. b zu überprüfen. Die EIOPA hat hierfür die neuesten verfügbaren Erkenntnisse der Klimawissenschaft sowie die Relevanz für die von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen gezeichneten Risiken zu berücksichtigen. Die erste Überprüfung soll zwei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie abgeschlossen sein. Stellt die EIOPA im Zuge einer Überprüfung fest, dass die Parameter des Risikomoduls zu einer Abbildung des Risikos in der Solvenzkapitalanforderung führt, die erheblich von der tatsächlichen Risikoexponierung abweicht, muss der Bericht der EIOPA auch Vorschläge zur Anpassung der Parameter und eine Bewertung der Auswirkungen dieser Vorschläge beinhalten.

Handlungsbedarf

Während die dargestellten Vorschriften noch auf europäische Ebene ratifiziert und in nationales Recht transformiert werden müssen, zeigen sie, dass die Verankerung von Klimawandelrisiken bzw. Nachhaltigkeit insgesamt in der Corporate Governance stärker von der Aufsicht verfolgt wird. Es handelt sich dabei um ein interdisziplinäres Vorhaben, das insbesondere Nachhaltigkeits-, Prozess-, Risikomanagement- und aktuarielles Know-how erfordert. Daneben sind weitere nachhaltigkeitsbezogene Vorschriften umzusetzen, z. B. aus der Taxonomie- und der Offenlegungsverordnung sowie der Non-Financial Reporting Directive. Die Umsetzung aller aufsichtsrechtlichen Vorschriften erfordert daher eine bereichsübergreifende Koordination. Rollen und Verantwortlichkeiten für Nachhaltigkeitsaspekte sind in der Governance klar zu definieren und in die Unternehmensleitlinien zu integrieren. Weiterhin sind Prozesse z. B. im Risikomanagement, in der strategischen Asset-Allokation und im Pricing anzupassen und zu erweitern.

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