Willkommene Präzisierung der Rechtsprechung zur mehrwertsteuerlichen Behandlung von Vermittlungen von Kapitaleinlagen

In seinem aktuellen Urteil (BGer 9C_459/2023) vom 31. Juli 2024 hat sich das Bundesgericht mit der Auslegung der Steuerausnahme für die «Vermittlung» im Finanzbereich gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e des Mehrwertsteuergesetzes (MWSTG) befasst. Dabei musste das Bundesgericht entscheiden, ob Vermittlungsleistungen nur dann von der Steuer ausgenommen seien, wenn das vermittelte Grundgeschäft selbst nach dieser Norm von der Steuer ausgenommen sei.

Sachverhalt des aktuellen Urteils

Die X-AG erbrachte Vermittlungsleistungen im Zusammenhang mit der Zeichnung von Gesellschaftsanteilen, welche im Rahmen von Kapitalerhöhungen geschaffen wurden. Konkret unterstützte sie diverse Gesellschaften bei der Suche von (Neu-) Investoren für ihre neu zu emittierenden Aktien. Die X-AG deklarierte die Vermittlungsleistungen als ausgenommene Umsätze. Daraufhin erkundigte sich die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) nach der genauen Tätigkeit der Steuerpflichtigen und verlangte entsprechende Verträge und Rechnungen ein. Mit Ergänzungsabrechnung vom 18. Juli 2019 kam die ESTV zum Schluss, dass die Steuerpflichtige steuerbare Leistungen erbringe und qualifizierte die im betroffenen Quartal als ausgenommen deklarierten Umsätze als steuerbar und forderte die daraus resultierende Steuer nach. Die ESTV begründete dies insbesondere damit, dass die Vertragspartner der X-AG im Rahmen von Kapitalerhöhungen neue Aktien ausgeben würden. Da Kapitaleinlagen keine Umsätze im MWST-Sinne seien, sondern Nicht-Entgelte, könne keine von der Steuer ausgenommene Vermittlung von Aktien seitens der X-AG nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MWSTG vorliegen.

Das Bundesverwaltungsgericht kam in seiner Auslegung von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MWSTG zum Schluss, dass Vermittlungsleistungen nur dann von der Steuer ausgenommen seien, wenn das vermittelte Grundgeschäft selbst nach dieser Norm von der Steuer ausgenommen sei (BVGer Urteil A-2585/2022 vom 29. Juni 2023) und bestätigte damit die Praxis der ESTV. 

Entscheid des Bundesgerichts (BGer 9C_459/2023) vom 31. Juli 2024

Das Bundesgericht hat sich in seinem Urteil insbesondere mit folgenden zwei Punkten auseinandergesetzt:

  • Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MWSTG: Das Bundesgericht hält fest, dass durch die Verwendung der Präposition «einschliesslich» bezieht sich der Begriff «Vermittlung» zwangsläufig auf den Begriff «Umsätze». Nachdem aber der Begriff «Umsätze» mit dem Zusatz «von Wertpapieren, Wertrechten und Derivaten sowie von Anteilen an Gesellschaften und anderen Vereinigungen» seinerseits präzisiert bzw. eingeschränkt wird, bezieht sich der Begriff «Vermittlung» auch auf diesen Zusatz. Ist damit grammatikalisch die Vermittlung von Wertpapierumsätzen von der Steuer ausgenommen, ist allerdings noch nicht gesagt, dass die Vermittlung nur dann von der Steuer ausgenommen ist, wenn die vermittelten Umsätze ebenfalls unter Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MSWTG fallen.
  • Vermittlung von Wertpapierumsätzen von der Steuer ausgenommen: Das Bundesgericht hält weiter fest, dass es für die Auslegung von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MWSTG keine Rolle spielt, dass die Steuerausnahmen nach Art. 21 Abs. 2 MWSTG den Steuertatbestand nach Art. 18 MWSTG voraussetzen. Nicht-Entgelte können sachlogisch nicht von der Steuer ausgenommen werden, weil sie gar nicht unter die Steuer fallen. Im vorliegenden Fall stellen allerdings lediglich die vermittelten Wertpapierumsätze Nicht-Entgelte dar, während die Vermittlung selber unbestrittenermassen eine Leistung darstellt und nach Art. 18 Abs. 1 MWSTG steuerbar ist, soweit sie nicht unter einen Ausnahmetatbestand subsumiert werden kann.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Vermittlungsleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Gesellschaftsanteilen (Kapitalerhöhung) unter die Ausnahme von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MWSTG fallen können, obwohl das vermittelte Grundgeschäft als Nicht-Entgelt gilt.

Wie ist dieser Entscheid in der Praxis einzuordnen?

Der Entscheid des Bundesgerichts schafft Klarheit zur MWST-Behandlung von Vermittlungsleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Gesellschaftsanteilen. Es ist zu begrüssen, dass die Vermittlung von neu ausgegebenen Anteilen an Gesellschaften nicht anders behandelt werden soll als die Vermittlung von bestehenden Anteilen, nur weil das vermittelte Grundgeschäft nicht in den Anwendungsbereich der MWST fällt. In der Praxis bestehen jedoch weiterhin Abgrenzungsfragen zu der ausgenommenen Vermittlungsleistung eines Umsatzgeschäfts und der steuerbaren Vermittlung einer Kundenbeziehung oder der steuerbaren Beratungsleistung. Bei der Erbringung von Vermittlungsleistungen empfehlen wir daher die MWST-Behandlung weiterhin vertieft zu prüfen. Dies gilt auch, wenn ein Schweizer Unternehmen solche Vermittlungsleistungen aus dem Ausland bezieht.

Beitrag von André Kuhn, Caryl Neuenschwander, Yann Waeber und Dominique Roggo

 

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