Rückerstattung von Kapitaleinlagereserven für Privatpersonen: Neue Stellungnahme der Eidgenössischen Steuerverwaltung

Im März 2023 fällte das Bundesgericht einen Entscheid zur Rückerstattung von Kapitaleinlagereserven an eine natürliche Person, welcher der Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) widersprach. Im Anschluss an diesen Entscheid veröffentlichte die ESTV im März 2024 ihre Stellungnahme zur Auslegung dieser Rechtsprechung und deren Anwendung durch die ESTV.

Erinnerung an den Bundesgerichtsentscheid - BGE 149 II 158

Der dem Bundesgericht vorgelegte Fall (BGE 149 II 158) lässt sich wie folgt zusammenfassen: Im Rahmen der Liquidation einer Gesellschaft wurde ein Teil des Gewinns aus dem Verkauf einer Liegenschaft an die Alleinaktionärin ausbezahlt. Die Aktionärin hatte die Liegenschaft vor Jahren zu einem unter dem Verkehrswert liegenden Preis an die Gesellschaft verkauft. Der Gewinn, den die Aktionärin während der Liquidation erhielt, wurde von den Steuerbehörden als gewöhnliche Liquidationsdividende betrachtet und war einkommensteuerpflichtig.

In der Entscheidung ging es um die Qualifizierung der Einlage, die geleistet wurde, als die Aktionärin die Immobilie erstmals zum Vorzugswert erwarb, und um die Frage, ob eine solche „verdeckte“ Einlage bei der Liquidation der Gesellschaft einkommensteuerfrei zurückgezahlt werden kann. Art. 20 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) sieht nämlich vor, dass die Rückzahlung der Einlage wie eine Rückzahlung von Grund- oder Stammkapital behandelt wird, d.h. ohne Einkommenssteuer.

Bisherige Praxis der ESTV

Bis März 2023 vertrat die ESTV die Auffassung, dass nur von ihr als solche anerkannte Einlagen einkommenssteuerfrei zurückbezahlt werden können. Dies bedeutet, dass nur ordnungsgemäss gebildete Kapitaleinlagereserven (KER) im Sinne des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer (VStG), welche die Voraussetzungen des VStG erfüllen, an einen einzelnen Gesellschafter/Aktionär steuerfrei zurückbezahlt werden können.

Um von der ESTV anerkannt zu werden, muss eine solche KER zwei Bedingungen erfüllen: 1) die Einlage muss von einem direkten Gesellschafter/Aktionär geleistet werden und 2) die Einlage muss auf einem bestimmten Konto in der Jahresrechnung der Gesellschaft verbucht werden.

Die zweite Bedingung schliesst die Anerkennung durch die ESTV aus, wenn verdeckte Einlagen geleistet werden. Unter dem Gesichtspunkt der Verrechnungssteuer ist diese Bedingung ausdrücklich im Gesetz genannt und kann nicht angefochten werden.

Das Bundesgericht analysierte jedoch Art. 20 Abs. 3 DBG und kam zu dem Schluss, dass eine solche „buchhalterische“ Bedingung in dem Artikel, der die Befreiung von der Einkommensteuer vorsieht, nicht erwähnt wird. Das Bundesgericht entschied, dass die fragliche Liquidationsdividende in der konkreten Situation die Rückzahlung einer Kapitaleinlage darstellte, die von der Einkommensteuer befreit sein sollte.

Dies ist eine wichtige Absage an die Praxis der ESTV, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verrechnungssteuer analog zur Einkommenssteuer anzuwenden. Damit ist der Weg frei für eine unterschiedliche Behandlung von verdeckten Einlagenrückzahlungen bei der Verrechnungssteuer und bei der Einkommenssteuer natürlicher Personen.

Neue Haltung der ESTV

Nach diesem Entscheid wurde die Reaktion der ESTV mit Spannung erwartet. Am 22. März 2024 veröffentlichte die ESTV ihre Stellungnahme zu diesem Bundesgerichtsentscheid.

Zusammenfassend stellt sich die Interpretation der ESTV zum Bundesgerichtsentscheid aus einkommenssteuerlicher Sicht wie folgt dar:

  • Eine steuerneutrale Rückzahlung ist nur im Rahmen einer Liquidation möglich.
  • Eine solche steuerneutrale Rückzahlung kann nicht zu einer Unterbesteuerung führen, d.h. wenn die verdeckte Einlage im Rahmen einer steuerneutralen Umstrukturierung (z.B. Umwandlung, Fusion, Umwandlung etc.) geleistet wurde.
  • Die Beweislast für das Vorliegen einer solchen Einlage liegt beim Steuerpflichtigen.

Der Vollständigkeit halber verweisen wir auf die offizielle Stellungnahme der ESTV auf deren Website.

Was wird sich ändern?

Die Stellungnahme der ESTV verfolgt einen restriktiven Ansatz und beschränkt sich auf den konkreten, vom Bundesgericht entschiedenen Fall. Insbesondere ist es verständlich, dass die stillen Reserven in der Jahresrechnung der zu entschädigenden Gesellschaft realisiert werden müssen, aber warum im Rahmen eines Liquidationsverfahrens?

Jedenfalls war die Anerkennung einer solchen stillen Einlage damals kein grosses Problem. Die ESTV lehnte die Anerkennung aus mehrwertsteuerlicher Sicht ab, und das Bundesgericht bestätigte indirekt, dass die im Gesetz ausdrücklich verankerte Rechnungslegungspflicht eine Voraussetzung für die Anerkennung einer solchen stillen Einlage ist. Aus rein einkommenssteuerlicher Sicht kann es jedoch bei der Prüfung einer verdeckten Einlage von Interesse sein, dass der Wert im Zeitpunkt der Einlage von den Steuerbehörden anerkannt wird. Auf diese Weise wird die verdeckte Einlage (die der Stempelsteuer unterliegen könnte) offiziell und es gibt einen eindeutigen Nachweis für diesen Betrag zu dem Zeitpunkt, zu dem die verdeckte Einlage buchmässig erfasst und dem einzelnen Anteilseigner erstattet wird.

Dieser neue Entscheid hat die Praxis der ESTV geändert und es sind noch viele Fragen offen. Für die Erhebung der Einkommenssteuer sind die kantonalen Steuerbehörden zuständig und die Praxis von 26 Kantonen ist noch nicht bekannt. Werden sie die gleiche restriktive Auslegung anwenden wie die ESTV? Werden sie verlangen, dass die Rückzahlung an denselben Gesellschafter/Aktionär erfolgt, der die verdeckte Einlage geleistet hat, um in den Genuss der Einkommenssteuerbefreiung zu kommen oder nicht?

Ist eine grössere verdeckte Einlage geplant oder wurde sie in der Vergangenheit sogar geleistet und handelt es sich beim Gesellschafter/Aktionär um eine natürliche Person, kann es sich auf jeden Fall lohnen, diese Einlage formell durch eine Steuerveranlagung anerkennen zu lassen oder zumindest alle Belege aufzubewahren, die den Wert der Einlage belegen, um sie zu gegebener Zeit geltend machen zu können.

Beitrag von Isabelle Bugnon und Dominique Roggo

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