Umsetzung der Arbeitsbedingungen-Richtlinie in deutsches Recht – neue Pflichten für Arbeitgeber
In Deutschland wurde die Richtlinie im Wesentlichen durch Änderungen im Nachweisgesetz umgesetzt. Insofern sind nunmehr umfassendere Informationen in den Arbeitsvertrag oder in eine Niederschrift über wesentliche Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses (Nachweisschreiben) aufzunehmen.
Auch wenn die Umsetzung der Arbeitsbedingungen- Richtlinie in deutsches Recht nun schon fast drei Monate her ist, lohnt sich ein Blick auf die wesentlichen Neuerungen und deren Umsetzung in die Praxis.
Was müssen Arbeitgeber beachten?
In alle neuen Arbeitsverträge sollten die erweiterten Informationen aufgenommen werden, sofern Arbeitnehmer*innen hierüber nicht durch gesonderte Niederschrift informiert werden. Arbeitnehmer* innen, deren Arbeitsverhältnisse nach dem 31. Juli 2022 beginnen bzw. begonnen haben, ist der Arbeitsvertrag oder die Niederschrift mit erweiterten Angaben spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung auszuhändigen (wobei das Nachweisgesetz hier zwischen Angaben unterscheidet, welche bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen sind, solchen, deren Mitteilung spätestens am 7. Kalendertag nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses erfolgen muss, und denen, die spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen sind). Ferner müssen auch bereits bestehende Arbeitsverträge (also von Bestands-Beschäftigten) dahingehend überprüft werden, ob sie den neuen erweiterten Informationspflichten genügen. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen Arbeitgeber vorbereitet sein: Auf Anträge der Arbeitnehmer*innen hat der Arbeitgeber binnen einer Woche (genauer: am 7. Tag nach Zugang der Aufforderung beim Arbeitgeber) den Arbeitnehmer*innen eine Niederschrift über die wesentlichsten Angaben (Nummern 1–10 von § 2 Abs. 1 NachwG) zu überreichen bzw. zu übersenden. Die Niederschrift mit den übrigen Angaben ist spätestens einen Monat nach Zugang der Aufforderung auszuhändigen.
Daher müssen Arbeitgeber die neuen Vorgaben umsetzen. Muster-Arbeitsverträge für neu eintretende Arbeitnehmer*innen müssen angepasst oder zusätzliche Nachweisschreiben entwickelt werden. Für die Bestands-Arbeitnehmer*innen müssen entsprechende Nachweisschreiben vorbereitet werden. Alternativ sind Ergänzungsvereinbarungen mit den Bestands-Arbeitnehmer*innen abzuschließen.
Mögliche Sanktionen
Der Nachweispflicht nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig nachzukommen, stellt nunmehr eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einem Bußgeld von bis zu 2.000,00 € für jeden Einzelfall geahndet werden. Ein Bußgeld kann von der zuständigen Behörde bereits beim ersten Verstoß verhängt werden.
Die Zuständigkeit für die Kontrolle und Ahndung wurde ebenfalls im Gesetzgebungsverfahren intensiv diskutiert: Die Regierungs-Koalitionen haben sich mit dem Vorschlag durchgesetzt, dass die Länder (und nicht der Bund) die Zuständigkeit bzw. Verantwortung erhalten.
Bußgelder sind nicht nur im Nachweisgesetz vorgesehen, sondern auch in anderen Gesetzen wie zum Beispiel dem Berufsbildungsgesetz und dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (§ 101 Abs. 1 BBiG, § 16 Abs. 1 Nr. 8 AÜG).
Die Nichterteilung aller erforderlichen Informationen hat ggf. auch prozessuale Konsequenzen für den Arbeitgeber hinsichtlich der Beweislage bei einer Auseinandersetzung mit den Mitarbeiter*innen. Die Nachweispflichten dienen nämlich auch der Beweissicherung über die vereinbarten Arbeitsbedingungen. Teilt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer*innen die relevanten Arbeitsbedingungen nicht ordnungsgemäß mit, so könnte dies – mehr noch als bislang – den Mitarbeiter*innen in einem Gerichtsprozess beweiserleichternd zugutekommen. Der deutsche Gesetzgeber hat keinen Gebrauch davon gemacht, explizit Beweiserleichterungen oder eine Beweislastumkehr als Sanktionsmaßnahme festzulegen.
Dennoch ist davon auszugehen, dass es Arbeitgebern zukünftig in Gerichtsprozessen noch schwerer fallen wird, ihre Rechte durchzusetzen, wenn sie ihren Nachweispflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen sind.
Ferner wurde teilweise angenommen, dass Arbeitnehmer* innen in bestimmten Fällen ihre Arbeitsleistung zurückhalten können, wenn der Arbeitgeber seinen Informations- bzw. Nachweispflichten nicht nachkommt. Dieser Aspekt dürfte in der Praxis allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung haben.
Die praktische Relevanz von (theoretisch denkbaren) Schadensersatzpflichten ist vermutlich ebenfalls gering. Dennoch sind sie denkbar. So macht sich ein Arbeitgeber ggf. schadensersatzpflichtig, wenn er es unterlässt, auf die maßgeblichen Kündigungsfristen hinzuweisen. Dies kann dazu führen, dass Arbeitnehmer* innen so zu stellen sind, wie sie stehen würden, wenn sie richtig informiert worden wären.
Probleme dürften sich auch im Bereich der Compliance ergeben, da es immer stärker verbreitet ist, sich im Geschäftsverkehr die Einhaltung aller geltenden Gesetze bestätigen zu lassen (Verpflichtung zu Ethik- und Verhaltenskodex). Dies gilt im Besonderen bei der Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren. Arbeitgeber haben die erweiterten Informations- bzw. Nachweispflichten daher auch als Teil ihrer Compliance-Management-Systeme zu verstehen. Diese sind auf die neuen gesetzlichen Vorgaben hin zu überprüfen.
Für wen gelten die Regelungen?
Die Richtlinie legt Mindestrechte fest, die für alle Arbeitnehmer*innen in der EU gelten, welche einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen, wobei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu berücksichtigen ist. Dies kann im Einzelfall zu Anwendungsschwierigkeiten führen, da der europäische Arbeitnehmerbegriff weiter ist als der nationale (deutsche).
Deutschland hat im Rahmen des Richtlinienverfahrens deutlich gemacht, dass es auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff abstellen werde. Da dieser enger als der der Richtlinie wäre, würde dies dazu führen, dass der Anwendungsbereich ggf. entsprechend der Richtlinie unionsrechtskonform auszulegen wäre. Dies führt wiederum zu Anwendungsschwierigkeiten. Es ist daher in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Arbeitgeber weitere Mitarbeitergruppen (z. B. Geschäftsführer*innen) miteinbeziehen wollen oder einen engeren nationalen Arbeitnehmerbegriff anwenden (welcher bestimmte Mitarbeitergruppen nicht umfasst).
Im Übrigen finden die Regelungen nunmehr für alle Arbeitnehmer*innen – unabhängig von der Art und Dauer ihrer Beschäftigung – Anwendung. Der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Bundesrates, vorübergehende Aushilfen von höchstens einem Monat auch weiterhin vom Anwendungsbereich des Nachweisgesetzes auszunehmen, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Die Anforderungen des Nachweisgesetzes gelten ausnahmslos für sämtliche Arbeitnehmer*innen.
Was sind die wichtigsten Neuerungen?
Im Nachweisgesetz wurde der Katalog der wesentlichen Vertragsbedingungen, über welche Beschäftigte schriftlich informiert werden müssen, deutlich erweitert.
Künftig muss beispielswiese zusätzlich über die vereinbarte Arbeitszeit sowie vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten informiert werden. Dabei genügt es nicht, einfach nur auf das Arbeitszeitgesetz zu verweisen. Vielmehr ist es erforderlich, dass Regelungen in den Arbeitsvertrag (bzw. im Nachweisschreiben) aufgenommen werden.
Ferner ist über das bei der Kündigung „einzuhaltende Verfahren“ zu informieren. Dies umfasst mindestens Angaben zu Schriftformerfordernis, Kündigungsfristen und Fristen zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Auch hier ist ein Verweis auf die geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht ausreichend, sodass die entsprechenden Bestimmungen selbst in die Arbeitsverträge oder das Nachweisschreiben (bzw. eine Anlage hierzu) übernommen werden müssen. Etwas anderes gilt nur, wenn man auf die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB verweisen möchte. Hier genügt ein Verweis auf das Gesetz.
Außerdem müssen Angaben zur Dauer der Probezeit sowie der Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen ergänzt werden.
Neu ist auch, dass die wesentlichen Vertragsbedingungen den Arbeitnehmer*innen in Form einer Niederschrift nunmehr grundsätzlich am ersten Tag der Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen sind (wobei für einzelne Angaben eine spätere Aushändigung genügen soll); Änderungen über wesentliche Vertragsbedingungen sind spätestens an dem Tag mitzuteilen, an dem sie wirksam werden. Auch für bereits bestehende Arbeitsverhältnisse ist den Mitarbeiter*innen auf ihr Verlangen hin eine Niederschrift vorzulegen.
Arbeitnehmer*innen, die ihre Arbeitsleistung länger als vier aufeinanderfolgende Wochen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu erbringen haben, hat der Arbeitgeber eine Niederschrift auszuhändigen mit allen wesentlichen Informationen, insbesondere dem Land, in dem die Arbeit geleistet werden soll, und der Währung, in der die Entlohnung erfolgt. Bei Auslandsaufenthalten, die unter die Entsenderichtlinie fallen, sind zusätzlich Angaben über die Entlohnung zu machen sowie ein Link zu einer offiziellen nationalen Website nach der „IMI-Verordnung“ anzugeben.
Es bestehen nach wie vor Unklarheiten, wie mit einzelnen Regelungspunkten konkret umzugehen ist. Die Praxis hat „Best-Practice-Ansätze“ herausgearbeitet. Es bleiben aber Unsicherheiten, sodass offene Fragen erst in der Zukunft vor den Gerichten geklärt werden. Bis dahin tragen die Arbeitgeber das Risiko, in zu geringem Umfang informiert zu haben.
Auch im Teilzeit- und Befristungsgesetz wurden einzelne Regelungen eingeführt bzw. verändert. So muss eine vereinbarte Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen nunmehr „im Verhältnis zur Dauer und Art der Tätigkeit“ stehen. Auch hier ist bislang unklar, wann die Länge der Probezeit verhältnismäßig ist. Diskutiert werden hier Größenordnungen zwischen einem Viertel und der Hälfte der vereinbarten Befristungsdauer. Gewissheit wird auch hier erst eine Konkretisierung durch die Rechtsprechung geben können. Bis dahin bleibt für den Arbeitgeber das Risiko der Unverhältnismäßigkeit der Länge einer vereinbarten Probezeit. Ist eine Probezeit ihrer Länge nach nicht verhältnismäßig, ist die Vereinbarung dieser Probezeit unwirksam.
Ebenfalls im Teilzeit- und Befristungsgesetz finden sich Neuregelungen zur Arbeit auf Abruf. Bei der Arbeit auf Abruf wird der Arbeitgeber zukünftig verpflichtet, zusätzlich einen Zeitrahmen (Referenzstunden und -tage) für die Arbeitnehmer*innen festzulegen, in dem auf seine Aufforderung hin Arbeit stattfinden kann. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach (legt er also keine entsprechenden „Abruffenster“ fest), können die Arbeitnehmer*innen die Arbeitsleistung verweigern. Der Lohnanspruch der Arbeitnehmer*innen bleibt dennoch bestehen.
Welche Form ist für die Unterrichtung der Arbeitnehmer über die wesentlichen Vertragsbedingungen vorgesehen?
Während die Richtlinie sowohl „echte“ Schriftform als auch elektronische Form ausdrücklich zulässt, um Arbeitnehmer*innen die erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, bleibt der deutsche Gesetzgeber dahinter zurück, indem die elektronische Form nach wie vor explizit ausgeschlossen ist.
Da dies gerade vor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung schwer nachvollziehbar ist, war im Gesetzgebungsverfahren eine intensive Diskussion um die echte Schriftform entbrannt. Die Regierungs- Koalitionen haben sich jedoch für die echte Schriftform entschieden. Die sog. Textform genügt nicht. Ferner ist die elektronische Form nach wie vor ausgeschlossen. Eine qualifizierte elektronische Signatur gem. § 126a BGB kann die echte Schriftform daher nicht ersetzen. Es muss daher nach wie vor echtes Papier mit echten Unterschriften benutzt werden.
Arbeitgeber müssen handeln
Trotz verbleibender Unklarheiten: Klar ist, Arbeitgeber müssen die neuen Vorgaben umsetzen und ihre Standard-Arbeitsverträge anpassen und/oder Nachweisschreiben entwickeln. Neu eintretende Mitarbeiter*innen werden umfangreiche Angaben in ihrem Arbeitsvertrag oder einem Nachweisschreiben wiederfinden müssen, welche den neuen Vorgaben entsprechen. Aber auch bei den Bestands-Mitarbeiter* innen müssen die Arbeitgeber tätig werden: Arbeitgeber sollten ein Standard-Informationsschreiben/ Nachweisschreiben entwerfen, welches (in Ergänzung zum bestehenden Arbeitsvertrag) zumindest die gesetzlichen Neuerungen berücksichtigt und die Bestands-Beschäftigten „nachinformiert“. Hierbei haben die Arbeitgeber zu prüfen, ob sich für unterschiedliche Mitarbeitergruppen unterschiedliche Fassungen anbieten. Ferner sollten gerade die Arbeitsverträge der länger beschäftigten Mitarbeiter*innen überprüft werden: Sollte sich herausstellen, dass diese Arbeitsverträge – über die jüngsten Gesetzesänderungen hinaus – nicht den erforderlichen Standards entsprechen, so raten wir zum Abschluss von neuen Arbeitsverträgen bzw. Ergänzungsvereinbarungen. Arbeitgeber können dann ihr Bedürfnis, AGB-konforme Arbeitsverträge umzusetzen, mit den jüngsten Gesetzesvorgaben verbinden.
Schlussendlich dürfen Arbeitgeber nicht vergessen, dass es in der Personalabteilung zukünftig schlicht mehr zu organisieren und zu beachten gilt. Abstimmungs- und Organisationsprozesse müssen ggf. adjustiert und nachgebessert werden. HR-Mitarbeiter* innen sind ggf. hinsichtlich der neuen Anforderungen nachzuschulen.
Auch wenn die Neuerungen zu mehr Bürokratie führen, so müssen Arbeitgeber ein hohes Interesse an „HR-Compliance“ und reibungslosen Prozessen haben. Es gibt also nach wie vor viel zu tun. Wir als Mazars unterstützen Sie hierbei gerne. Lassen Sie uns besprechen, ob Ihre Personalabteilung und Ihre Prozesse fit für die neuen Anforderungen sind. Auch bei der Neuausrichtung Ihrer Standard-Vertragsunterlagen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Checkliste für Arbeitgeber
- Überarbeitung Muster-Arbeitsverträge für neu eintretende Arbeitnehmer*innen
- Durchsicht Arbeitsverträge der Bestands-Arbeitnehmer*innen
- Erstellung Informationsschreiben für Bestands-Arbeitnehmer*innen
- Schulung und Prozessanpassungen von HR bezogen auf neue Anforderungen
- Nachinformationspflicht bei nachträglichen Veränderungen (bspw. Betriebsübergang)
- Überprüfung und Anpassung von HRCompliance- Management-Anforderungen (HR-CRM)
Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?
Autor*innen
Dr. Andreas Eckhardt
Tel: +49 170 3766 417
Sandra Preißler
Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.