„Nur noch einmal kurz die Mails checken“ – Einordnung von beruflicher Tätigkeit in der Freizeit
Einordnung beruflicher Tätigkeit in der Freizeit
Acht Stunden arbeiten und 11 Stunden ruhen zuzüglich Ruhepausen sowie Sonn- und Feiertagsruhe. Man könnte meinen, dass der rechtliche Rahmen hinsichtlich der Arbeits- und Ruhezeit in Deutschland damit doch eigentlich ziemlich genau festgelegt und es eindeutig ist, wann Arbeitnehmer* innen ihrer Arbeit nachgehen und wann sie sich in ihrer Ruhe- und Freizeit befinden.
Die Entwicklung der Arbeitswelt und die aktuelle arbeitsrechtliche Praxis zeigen jedoch, dass es zunehmend Tätigkeiten außerhalb der vereinbarten Arbeitszeit gibt, die weder eindeutig der Arbeitszeit noch der Ruhezeit zugeordnet werden können. Arbeitnehmer*innen werden nicht selten auch in ihrer Ruhezeit berufsbezogen tätig, ob freiwillig oder weil sie durch ihren Arbeitgeber kontaktiert werden.
Hinzu kommt, dass auch Arbeitnehmer*innen selbst möglichst flexibel und außerhalb festgelegter betrieblicher Arbeitszeiten tätig werden möchten, um ihren Arbeitsalltag und ihr Privatleben bestmöglich zu harmonisieren. Sie möchten ihre Arbeitszeit vermehrt über den Tag verteilt erbringen und beispielsweise auch nach einer Unterbrechung am Nachmittag noch einmal später am Tag tätig werden.
Die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland tut sich jedoch schwer, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten.
Definition der Arbeitszeit: Kann die morgendliche Dusche bereits Arbeitszeit sein?
Das Arbeitszeitgesetz enthält in § 2 Abs. 1 die Definition, wonach Arbeitszeit im Sinne dieses Gesetzes die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen ist. Diese Regelung gilt seit nahezu 30 Jahren und hat seitdem keine erheblichen Änderungen erfahren. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat zwar bereits im April 2023 einen Referentenentwurf zum Arbeitszeitgesetz auf den Weg gebracht, mit einer gesetzlichen Änderung der bestehenden Regelungen ist allerdings nicht in absehbarer Zeit zu rechnen. Ohnehin beschäftigt sich der Referentenentwurf weit überwiegend mit dem ebenfalls aktuellen Thema der Zeiterfassung, ohne allerdings weitere Anpassungen in Hinblick auf Arbeits- und Ruhezeiten sowie weiterer Regelungen vorzusehen.
Die derzeitige Definition der Arbeitszeit ist unpräziser, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Früher einmal, als die Arbeit noch durch eine Anwesenheit im Betrieb, an die Betriebsräumlichkeiten des Arbeitgebers sowie an gewisse Maschinen gebunden war, mag diese Definition ausreichend gewesen sein.
Arbeit ist in der aktuellen Arbeitswelt – der Arbeits- welt 4.0, dem Mobile Working, der Vertrauensarbeitszeit etc. – längst nicht mehr allein die Arbeit zu festgelegten Zeiten im Betrieb des Arbeitgebers. Sie ist flexibler, bisweilen auch ohne feste Grenzen, und lässt sich nicht mehr anhand klassischer Kriterien festlegen. Dies hat unmittelbar Auswirkungen auf die Definition der Arbeitszeit selbst.
Zur Veranschaulichung kann schon ein „gewöhnlicher Arbeitnehmer“ aus dem Jahr 2024 herangezogen werden, dessen Arbeitszeit vertraglich auf den Zeitraum zwischen 9 und 18 Uhr an fünf Tagen in der Woche festgelegt ist.
Angenommen, dieser Arbeitnehmer durchdenkt bereits vor Beginn seiner eigentlichen Arbeitszeit, unter der Dusche stehend, eine mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängende Problemstellung und entwickelt noch unter der Dusche eine Lösung hierfür. Frisch geduscht und im Büro angekommen, teilt er das von ihm gefundene Ergebnis mit seinen Kolleg*innen, die hierdurch ein gemeinsames Projekt weiter vorantreiben können.
Die Frage, die man sich nun durchaus stellen muss: Stellt das Duschen Arbeitszeit dar bzw. zumindest der Teil davon, in dem der*die Arbeitnehmer*in eine Lösung für das bestehende Problem entwickelt hat?
Der*Die Arbeitnehmer*in hat hier schon vor Beginn seiner betrieblichen Arbeitszeiten – wenn zwar auch in entspannter Atmosphäre – eine (gedankliche) Tätigkeit verrichtet, die im Interesse seines Arbeitgebers war.
Unter Arbeit im Sinne des § 2 Abs. 1 ArbZG soll zunächst jede Tätigkeit zu verstehen sein, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Hiernach wäre auch die Zeit unter der Dusche als Arbeitszeit zu qualifizieren, denn der*die Arbeitnehmer* in hat eine Problematik gelöst, die es seinen Kolleg*innen erleichtert hat, ein gemeinsames Projekt fortzuentwickeln. Hiermit wurde unzweifelhaft ein fremdes Bedürfnis befriedigt, nämlich das seines Arbeitgebers an der Lösung ebendieser Problematik.
Diese Definition wird als unzureichend angesehen, und man versucht, sie mit weiteren Kriterien, wie beispielsweise der Beanspruchung des*der Arbeitnehmers*Arbeitnehmerin, zu begrenzen. Wie der Begriff schon vermuten lässt, soll es auf die tatsächliche Beanspruchung des*der Arbeitnehmers* Arbeitnehmerin ankommen. Aber auch hierbei handelt es sich um ein nur schwer greifbares Kriterium und letztlich dürfte auch eine Beanspruchung selbst unter der Dusche nicht ganz von der Hand zu weisen sein, wenn der*die Arbeitnehmer* in entsprechende geistige Anstrengungen anstellt.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeitrichtlinie ist unter Arbeitszeit jede Zeitspanne zu verstehen, während derer dem*der Arbeitnehmer*in Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine*ihre Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.
Bei einer unionsrechtskonformen Auslegung des Arbeitszeitgesetzes dürfte hiernach zumin-dest keine Arbeitszeit vorliegen, da der*die Arbeitnehmer* in keinen entsprechenden erheblichen Einschränkungen unterliegt und seine*ihre Zeit (unter der Dusche) zudem frei gestalten kann. Dies verhindert zudem, dass dem Arbeitgeber sämtliche Zeiten zugerechnet werden, die in irgendeinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen.
Ruhezeit und ihre Unterbrechung
Auch hierzu wieder ein Beispiel: Um 18 Uhr verlässt der*die Arbeitnehmer*in den Betrieb und begibt sich nach Hause, um dort nun vollends seine Freizeit in Form der Ruhezeit zu genießen. Abends auf dem Sofa klappt der*die Arbeitnehmer*in dann aber doch noch einmal seinen Laptop auf, liest und beantwortet einige E-Mails, plant seine beruflichen Termine am folgenden Arbeitstag und legt den Laptop nach ca. 15 Minuten wieder beiseite.
Erneut stellt sich die Frage, ob diese Tätigkeit Arbeitszeit darstellt oder allein der Freizeit des*der Arbeitnehmers*Arbeitnehmerin zuzurechnen ist. Sollte man zu dem Ergebnis kommen, sie als Arbeitszeit anzusehen, so hätte dies zur Folge, dass die Ruhezeit des Arbeitnehmers unterbrochen würde und ihm eine neue ununterbrochene Arbeitszeit von 11 Stunden zu gewähren ist. Dies gilt grundsätzlich für jegliche Unterbrechung, egal aus welchen Gründen sie erfolgt, ob planmäßig oder überraschend, und wie lange die Unterbrechung dauert.
Die Unterbrechung der Ruhezeit und eine Neugewährung in jedem Fall trifft auf erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis. Es werden daher diesbezüglich Einschränkungen gefordert.
Schutzzweck der Ruhezeit ist es insbesondere, Arbeitnehmer*innen vor gesundheitlichen Schäden durch Überanstrengung zu bewahren und ihnen durch gründliches Ausruhen die Möglichkeit zur Erholung und zur Erhaltung ihrer Arbeitskraft zu geben. Dieser Schutzzweck wird hingegen bei geringfügigen Unterbrechungen, die kaum zu einer Belastung führen, schon nicht gefährdet.
Es wird daher in der juristischen Fachliteratur zum Teil vertreten, dass Unterbrechungen bis zu 15 Minuten nicht zu einer Unterbrechung mit anschließender Neugewährung der Ruhezeit führen. Die Ruhezeiten vor und nach der Unterbrechung sollen zusammengerechnet werden können.
Eine vom Gesetzgeber gewünschte Klarstellung zu Arbeits- und Ruhezeit sowie der Problematik von Unterbrechungen ist bislang nicht ersichtlich und wird auch noch auf sich warten lassen. Erste vorsichtige Ansätze gibt es allerdings mittlerweile in der Rechtsprechung.
Keine Unterbrechung der Ruhezeit durch unerhebliche Beeinträchtigungen
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil vom 23. August 2023 (Az. 5 AZR 349/22) entschieden, dass eine nur geringfügige berufsbezogene Tätigkeit während der Ruhezeit nicht zu einer Unterbrechung dieser mit den zuvor beschriebenen Folgen führt.
Arbeitszeit ist danach in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nur solche Zeit, die
- dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art und Intensität auferlegt,
- dass seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten, und sich seinen eigenen Interessen zu widmen
- ganz erheblich beeinträchtigt wird.
Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitnehmer wurde in seiner Ruhezeit von seinem Arbeitgeber per SMS mit dem Hinweis kontaktiert, am darauffolgenden Arbeitstag seinen Dienst zu einer bestimmten Uhrzeit aufnehmen zu müssen. Der Arbeitnehmer nahm diese Nachricht bewusst nicht zur Kenntnis und erschien am darauffolgenden Arbeitstag erst deutlich später, als die Schicht begann, für die sein Arbeitgeber ihn eingeteilt hatte.
Der Arbeitnehmer vertrat die Auffassung, in seiner Freizeit nicht dazu verpflichtet zu sein, sich über die Diensteinteilung durch seinen Arbeitgeber informieren zu müssen.
Das Bundesarbeitsgericht sah es hingegen als Nebenpflicht des Arbeitnehmers an, sich über die Einteilung der Dienste zu informieren und eine Mitteilung des Dienstplans per SMS auch tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen.
Die Kenntnisnahme des Dienstplans stellt aber keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne dar, sodass die Ruhezeit durch eine Kenntnisnahme auch nicht unterbrochen würde. Die Pflicht zur Kenntnisnahme des Dienstplans erlegt dem Arbeitnehmer zudem keine solchen Einschränkungen auf, dass dieser ganz erheblich darin beeinträchtigt ist, seine Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen.
Diese Entscheidung ist eine Einzelfallentscheidung und in anderen Fällen kann unter Umständen je nach Umfang und Komplexität der Beanspruchung des*der Arbeitnehmers*Arbeitnehmerin von einer erheblichen Beeinträchtigung auszugehen sein. Danach würde dann Arbeitszeit vorliegen, die zu einer Unterbrechung der Ruhezeit führt, was wiederum einen Anspruch des*der Arbeitnehmers* Arbeitnehmerin auf Neugewährung der Ruhezeit begründen würde. Dieselben Überlegungen lassen sich auch auf eine Beanspruchung des*der Arbeitnehmers*Arbeitnehmerin während seines*ihres Erholungsurlaubs übertragen.
Kein Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit
Arbeitnehmer*innen haben nach dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch kein Recht auf Nichterreichbarkeit bzw. darauf, in ihrer Freizeit ganz und gar in Ruhe gelassen zu werden. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass Arbeitnehmer*innen auch in ihrer Freizeit verpflichtet sind, Nachrichten des Arbeitgebers hinsichtlich einer Veränderung der Arbeitszeit oder auch des Arbeitsorts entgegenzunehmen. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Nebenpflicht des*der Arbeitnehmers*Arbeitnehmerin aus § 241 Abs. 2 BGB. Hiernach verpflichtet das Schuldverhältnis – in unserem Fall das Arbeitsverhältnis – den jeweiligen Vertragspartner zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragspartners.
Hierzu gehört es unter anderem auch, Anweisungen des Arbeitgebers in Hinblick auf die konkrete Aufnahme der Tätigkeit zur Kenntnis zu nehmen.
Allerdings unterliegt auch diese Nebenpflicht Einschränkungen: Arbeitnehmer*innen sind nicht verpflichtet, ununterbrochen in ihrer Freizeit für ihren Arbeitgeber erreichbar sein zu müssen. Es ist ihm*ihr selbst überlassen, zu entscheiden, wann (und wo) er*sie Kenntnis von der Nachricht des Arbeitgebers nimmt.
Hinweis für die Praxis
Auch Tätigkeiten von Arbeitnehmer*innen außerhalb ihrer Arbeitszeit und während der Ruhezeit können Arbeitszeit darstellen, wenn sie eine gewisse Intensivität erreichen.
Arbeitnehmer*innen steht in ihrer Ruhezeit kein absolutes Recht auf Nichterreichbarkeit zu. Wollen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer*innen in der Freizeit kontaktieren, um wie vorliegend die Arbeitszeiten für einen bestimmten Tag zu konkretisieren oder um sie über mit ihrer Tätigkeit zusammenhängende Vorgänge informieren, so ist indes Augenmaß gefragt.
Grundsätzlich darf nicht von Arbeitnehmer*innen verlangt werden, dass sie sich in ihrer Freizeit und damit in ihrer Ruhezeit zu jeder Zeit bereithalten, um Informationen entgegenzunehmen.
Aus der vertraglichen Nebenpflicht der Arbeitnehmer* innen ergibt sich jedoch, dass diese auch in ihrer Freizeit kontaktiert werden können, wenn eine gewisse Schwelle nicht überschritten wird. Wie die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt, ist Arbeitnehmer*innen noch zuzumuten, in ihrer Freizeit einen Dienstplan abzurufen oder ähnliche geringfügige Beanspruchungen durch den Arbeitgeber hinzunehmen.
Anders zu beurteilen sind Konstellationen, in denen der Arbeitgeber den*die Arbeitnehmer*in kontaktiert, um ihm*ihr eine konkrete Aufgabe zu übertragen, die den*die Arbeitnehmer*in in nicht unerheblicher Weise in der Wahrnehmung seiner*ihrer Freizeit und den Erholungszweck seiner*ihrer Ruhezeit beeinträchtigt.
Die Faustformel, die Arbeitgeber zu berücksichtigen haben, ist dabei stets, dass keine Einschränkung solcher Art und Intensität erfolgt, dass die Möglichkeit der Arbeitnehmer*innen, ihre Freizeit frei zu gestalten, dadurch in erheblicher Weise beeinträchtigt wird.
Es ist in jedem Einzelfall eine Abwägung dieser Kriterien durchzuführen und im Zweifel sollte eher einmal davon abgesehen werden, den*die Arbeitnehmer* in in dessen*deren Ruhezeit zu kontaktieren, mit Ausnahme dringender betrieblicher Erfordernisse oder Notlagen.
Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?
Autor
Dr. Philipp Wollert, LL. B.
Tel: +49 221 28 20 2531
Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 1-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.