Der BFH prüft die Vereinbarkeit der deutschen Grunderwerbsteuer mit dem EU-Recht

Vor dem Bundesfinanzhof (BFH) ist derzeit ein Verfahren anhängig, bei dem die Klägerin unter Berufung auf die Kapitalverkehrssteuerrichtlinie (EU-Richtlinie 2008/7/EG) die Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung im Zusammenhang mit einer Verschmelzung in Österreich fordert. Im nachfolgenden Beitrag erklären wir, welche Folgen die EU-Rechtswidrigkeit der Share-Deal-Besteuerung für grundbesitzende Gesellschaften hätte.

Hintergrund  

Im Streitfall wurde die österreichische Konzernmutter im Jahr 2017 auf eine Tochtergesellschaft verschmolzen, die ihr zu 60 Prozent gehörte. Infolge der Verschmelzung sind Beteiligungen der Konzernmutter an Gesellschaften mit deutschem Grundbesitz auf die Tochtergesellschaft übergegangen. Der Vorgang wurde nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG a. F. besteuert und war wegen der lediglich 60-prozentigen Beherrschung im Mutter-Tochter-Verhältnis nicht nach § 6a GrEStG a. F. von der Grunderwerbsteuer befreit.  

Die Klägerin sah in der Belastung mit der deutschen Grunderwerbsteuer einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrssteuerrichtlinie. Diese ist in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht, welches von den nationalen Gesetzgebern umzusetzen war. Art. 5 der Richtlinie enthält ein Erhebungsverbot für jede Art von indirekten Steuern oder Abgaben auf Umstrukturierungen bei Kapitalgesellschaften. Das Verbot sei dabei weit auszulegen und gelte nach Auffassung der Klägerin und gewichtigen Stimmen in der Literatur auch für die deutsche Grunderwerbsteuer. Zwar sieht Art. 6 der Richtlinie bestimmte Ausnahmen vor, unter anderem in Abs. 1b für sog. „Besitzwechselsteuern“, doch seien diese im Gegensatz zum Verbotstatbestand eng auszulegen. Dem Wortlaut nach sei die Besteuerung aufgrund eines zivilrechtlichen Rechtsträgerwechsels i. S. d. § 1 Abs. 1 GrEStG ausnahmsweise zulässig, nicht jedoch die Besteuerung fiktiver Grundstücksübertragungen, wie in § 1 Abs. 2a bis Abs. 3a GrEStG vorgesehen.  

Die Forderung nach einer EuGH-Vorlage  

Der BFH befasste sich bisher – zuletzt 2007 – nur mit der Vorgängerrichtlinie (RL 69/335/EWG), sah in der Erhebung der Grunderwerbsteuer im Zusammenhang mit Umstrukturierungen keinen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit und legte die Frage der Vereinbarkeit der deutschen Grunderwerbsteuertatbestände dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) bisher kein einziges Mal vor. Diesmal scheint der Druck allerdings höher, weil die Möglichkeit eines EU-Rechtsverstoßes in den Fachkreisen überwiegend bejaht wird. Kritik kommt auch von Seiten des Bundesverfassungsgerichts, das in aktuellen Beschlüssen feststellte, dass nationale Gerichte, darunter auch der BFH, europarechtliche Auslegungsfragen dem EuGH per Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3. AEUV zur Klärung vorzulegen haben. Anderenfalls sei das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Grundgesetz verletzt.  

Bedeutung für die Praxis  

Die Vorlage der vorgenannten Frage der Vereinbarkeit des deutschen Grunderwerbsteuerrechts mit dem EU-Recht wird zwar erwartet und gefordert, ist aber nicht sicher. Sollte der EuGH im anhängigen BFH-Verfahren einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsrichtlinie feststellen, wären nicht die grunderwerbsteuerlichen Share-Deal-Tatbestände als solche EU-rechtswidrig. Vielmehr würde die EU-rechtskonforme Auslegung des deutschen Grunderwerbsteuergesetzes die Steuerfestsetzung im Anwendungsbereich der Richtlinie verbieten. Umzusetzen wäre dies beispielsweise durch eine EU-rechtskonforme Auslegung der aktuell geltenden Steuerbefreiung des § 6a GrEStG oder durch die im Diskussionsentwurf des Novellierungsgesetzes vom 15. Juni 2023 ohnehin vorgesehene Einführung einer Regelung, die an die Steuerbefreiung keine hohen Anforderungen in Form von Vorbehaltensfristen und Mindestbeteiligungsgrenzen stellt.  

In der Praxis sollten Bescheide, die Besteuerung von Anteilsübertragungen an Kapitalgesellschaften infolge von Konzernumstrukturierungen zum Gegenstand haben, offengehalten werden. Wir raten daher zu einer vorsorglichen Einspruchseinlegung mit dem Hinweis auf das anhängige BFH-Verfahren oder zur Stellung eines Antrags auf Vorläufigkeit.  

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Autorin:

Paulina Oster  

Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 2/2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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