BFH-Urteil zur Haftung der Organgesellschaft gemäß § 73 AO für nach Beendigung der Organschaft entstandene Steuern

Mit Urteil vom 5. April 2022 (VII R 18/21) hat der BFH entschieden, dass sich die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gemäß § 73 AO nicht auf solche Steuern beschränkt, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind. Die Organgesellschaft kann in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann.

Hintergrund

Gemäß § 73 S. 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für die die Organschaft zwischen ihnen von Bedeutung ist. Ob eine Organschaft in diesem Sinne steuerlich von Bedeutung ist, richtet sich im Falle der umsatzsteuerlichen Organschaft nach den Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes (UStG).

Haftung nach § 73 AO bei umsatzsteuerrechtlichen Organschaften gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG

Im Rahmen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG werden dem Organträger grundsätzlich sämtliche Umsätze der Organgesellschaft einschließlich der Verwirklichung der Entnahmetatbestände und der übrigen Umsätze zugerechnet. Der Organträger ist Schuldner der auf diese Umsätze entfallenden Umsatzsteuer. Zudem hat er alle Pflichten zu erfüllen, die sich aus § 18 UStG für den Unternehmer ergeben.

Steuern des Organträgers, „für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist“, liegen somit nach Wortlaut und Systematik von § 73 AO i. V. m.
§ 2 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 2 S. 1 und S. 3, § 18 UStG grundsätzlich dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft.

Differenzierung zwischen der wirtschaftlichen Verursachung (Veranlassung) der Steuer und der rechtlichen Entstehung der Steuer

Laut BFH kommt es insofern für die Haftung der Organgesellschaft nicht auf die rechtliche Entstehung, sondern auf die wirtschaftliche Verursachung der Steuer an. Soweit Lieferungen und sonstige Leistungen während des Bestehens der umsatzsteuerlichen Organschaft ausgeführt wurden, kommt eine Haftung der Organgesellschaft in Betracht.

Das entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 73 AO. Mit dieser Regelung sollen die steuerlichen Risiken ausgeglichen werden, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen.

Der BFH folgt damit nicht der herrschenden Auffassung in der Fachliteratur, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur solche Steuern umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.

Bedeutung für die Praxis

Durch das Urteil des BFH wird noch einmal deutlich, dass zwischen der wirtschaftlichen Verursachung einer Steuer und der rechtlichen Entstehung einer Steuer genau zu differenzieren ist. Zur Vermeidung von Haftungslücken sollte diese Differenzierung insbesondere bei der Formulierung von vertraglichen Freistellungsregelungen genau beachtet werden.

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