Klarheit für die Personalgestellung im öffentlichen Dienst

Kein Verstoß gegen Leiharbeitsrichtlinie nach EuGH-Urteil vom 22. Juni 2023 – C-427/21 (LD / ALB FILS Kliniken GmbH)
Der EuGH bestätigt die Unionsrechtskonformität der insbesondere im öffentlichen Dienst und bei Krankenhausgesellschaften verbreiteten Personalgestellung, die in verschiedenen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (z. B. § 4 Abs. 3 TVöD VKA/Bund, § 4 Abs. 3 TV-L und § 3 Abs. 4 TV-V) verankert ist. Das BAG legte dem EuGH die Frage, ob die Personalgestellung i. S. v. § 4 Abs. 3 TVöD unter den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie der EU fällt, und wenn ja, ob die Bereichsausnahme nach § 1 Abs. 3 Nr. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zulässig ist, zur Prüfung vor.

Sachverhalt

Der Vorlage des BAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus, deren Trägerin und einzige Gesellschafterin eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist. Im Jahr 2018 gliederte die Beklagte u. a. den Bereich, in welchem der Kläger tätig ist, auf eine neu gegründete Service GmbH aus. Diese Ausgliederung führte zu einem Betriebsteilübergang i. S. v. § 613a BGB, welchem der Kläger allerdings widersprach, sodass sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten bestehen blieb. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Die Beklagte besitzt keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Auf Verlangen der Beklagten erbringt der Kläger seit 2018 seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung im Wege der Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD dauerhaft bei der Service GmbH, der das fachliche und organisatorische Weisungsrecht gegenüber dem Kläger obliegt. Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, bei seinem dauerhaften Einsatz bei der Service GmbH handele es sich um eine rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung und insoweit um einen Verstoß gegen Unionsrecht. Er sei daher nicht verpflichtet, seine Arbeitsleistung dauerhaft bei der Service GmbH zu erbringen. Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die Personalgestellung bereits aufgrund der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG zulässig und der relevante Anwendungsbereich des AÜG nicht eröffnet sei. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH legt die Vorschriften der Leiharbeitsrichtlinie nach Wortlaut, Zusammenhang und Zielen aus. Damit ein Arbeitsverhältnis in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie falle, müsse ein Arbeitgeber nach dem Wortlaut der Richtlinie sowohl bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrags als auch bei jeder der tatsächlich vorgenommenen Überlassungen die Absicht haben, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Diese Voraussetzungen lägen vorliegend nicht vor. Der Arbeitnehmer sei im Ausgangsverfahren ursprünglich zur Erledigung von Aufgaben seines Arbeitgebers eingestellt worden. Der Arbeitgeber habe bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrages nicht die Absicht gehabt, den Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Auch die konkrete Überlassung sei nicht deswegen erfolgt, sondern weil der Arbeitnehmer von seinem Recht Gebrauch gemacht habe, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Vorliegend sei die Gefahr des Missbrauchs oder der Umgehung der Leiharbeitsrichtlinie ausgeschlossen, weil der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechende Arbeitnehmer bei seinem ursprünglichen Arbeitgeber zu den dort geltenden Bedingungen fortbeschäftigt werde. Die mit der Richtlinie verfolgten Ziele der Flexibilität der Unternehmen, der Schaffung neuer Arbeitsplätze oder auch der Förderung des Zugangs der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung seien aufgrund des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers nicht relevant.

Praxishinweise

Die Entscheidung des EuGH schafft Rechtssicherheit bei Personalgestellungen infolge von Aufgabenverlagerungen im Anwendungsbereich der genannten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Sie erleichtert insbesondere Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Umgangs mit einem Betriebsübergang widersprechenden Mitarbeiter*innen.

Erneut klingt in einer EuGH-Entscheidung zudem an, dass keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung bestehen, da eine solche dem Ziel, für die Sicherheit und den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen, nicht entgegenzustehen scheint (vgl. auch EuGH, Urteil vom 17. März 2022 – C-232/20, in dem es um die tarifliche Erweiterung der Höchstüberlassungsdauer geht. Der EuGH prüfte auch in diesem Fall den längerfristigen Einsatz bei demselben Entleiher unter der Rechtsfigur des europäischen Rechtsmissbrauchs).

Insgesamt gibt die Entscheidung daher Anlass, über die Rechtweite einer Überlassungshöchstdauer, z. B. im Rahmen der Konzernleihe, nachzudenken. Aktuell liegt zudem die Frage der Unionsrechtskonformität des deutschen Konzernprivilegs gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG dem EuGH zur Entscheidung vor, s. Newsletter „Public Sector“ 2/2023, Link.

Es wäre wünschenswert, wenn der nationale Gesetzgeber Ausnahmen von den Anforderungen des AÜG auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes für Fallgestaltungen zulassen würde, in denen ein Missbrauch oder eine Umgehung der unionsrechtlichen Vorgaben offensichtlich nicht beabsichtigt ist und eine Arbeitnehmerüberlassung vielmehr dazu dient, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und Arbeitsverhältnisse fortzuführen.

Im Bereich der Personalgestellung stellt sich weiter häufig die Frage, welche Tarifverträge von dem Begriff der „Tarifverträge des öffentlichen Dienstes“ erfasst werden. Hier ist ggf. im Einzelfall zu klären, welche Anforderungen Haustarifverträge erfüllen müssen, um als „Tarifverträge des öffentlichen Dienstes“ zu gelten. Gern unterstützen wir Sie rund um das Thema der Personalgestellung oder Arbeitnehmerüberlassung.

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Autorin

Marion Plesch
Tel: +49 30 208 88 1146

Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 3-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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