Aktuelle Entwicklungen im Apothekenrecht – Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOSG)

Ziel des am 15. Dezember 2020 in Kraft getretenen Gesetzes ist es, die flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch die Vor-Ort-Apotheken zu stärken. Zentrale Punkte sind die Förderung fairen Wettbewerbs zwischen Präsenzapotheken und Versandapotheken, die Vergütung neuer Dienstleistungen und die Einführung einer Botendienstpauschale. Nachfolgend werden die wesentlichen Änderungen dargestellt und kritisch beleuchtet.

Die Co-Autorin Anika Klisa war seither bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA) als Referentin für Vertragsbeziehungen tätig und verstärkt das Mazars-Health-Care-Team mit ihrer Expertise im Bereich Pharma- und Apothekenrecht ab dem 1. April 2021.

Einführung einer sozialversicherungsrechtlichen Arzneimittelpreisbindung – Auswirkungen für inländische und ausländische Versandapotheken

Kernstück des Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOSG) ist die Einführung einer sozialversicherungsrechtlichen Arzneimittelpreisbindung.

Im Gegensatz zu den im Inland ansässigen Präsenz- und Versandapotheken konnten die im EU-Ausland ansässigen Versandapotheken ihren Kunden in den letzten Jahren Rabatte und Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren. In der Praxis etablierten sich zahlreiche Bonusmodelle. Ermöglicht wurde diese Praxis durch den Vorrang des Unionsrechts nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2016, der in dem Verfahren Deutsche Parkinson Vereinigung/Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (C-148/15) entschied, dass die Erstreckung der Preisbindung nach § 78 Abs. 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz (AMG) a. F. auf ausländische Versandapotheken wie eine europarechtswidrige mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV zu bewerten ist. Infolge dieser Entscheidung war die Preisbindung auf ausländische Versandapotheken nicht anzuwenden. 

Durch die EuGH-Entscheidung bestand ein Bedürfnis, die europarechtswidrige Regelung im Arzneimittelgesetz zu streichen. Mit der Neuregelung soll das Rabattverbot nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers aber zumindest für die gesetzlich Versicherten erhalten bleiben, indem die Regelungen zur Preisbindung vom Arzneimittelrecht ins Sozialversicherungsrecht überführt und an die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel als Sachleistung gekoppelt werden. Nach § 129 Abs. 3 S. 2 und S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) n. F. ist die Abrechnung von Arzneimitteln über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nur bei Teilnahme am Rahmenvertrag unter gleichzeitiger Beachtung der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) möglich. Hierdurch wird letztlich über Umwege der einheitliche Apothekenabgabepreis nach §§ 3 ff. AMPreisV auch für die ausländischen Versender verbindlich. Gleichzeitig wurde § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) entsprechend angepasst. In § 129 Abs. 4 S. 4 SGB V n. F. sind nun empfindliche Strafen bei Missachtung der Preisbindung (einzelne Verstöße bis zu 50.000 €, wiederholte Verstöße bis zu 250.000 €) geregelt.

Ausgenommen von der Preisbindung ist die Abgabe von Arzneimitteln außerhalb des Sachleistungsprinzips. Im Gegensatz zu inländischen Versandapotheken ist es ausländischen Versandapotheken damit weiterhin möglich, Vergünstigungen bei Privatverordnungen zu gewähren.

Es ist zu erwarten, dass auch die Neuregelung gerichtlich angegriffen wird. Ob die sozialversicherungsrechtliche Preisbindung vor dem EuGH Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Aktuell stellt das VOSG für im EU-Ausland ansässige Versandapotheken einen harten Rückschlag dar. Der Preiswettbewerb war für diese stets ein wichtiger Faktor für die Etablierung des Geschäftsmodells. Gleichzeitig werden die inländischen Präsenz- und Versandapotheken von der Gesetzesänderung profitieren. Es ist zu ferner zu erwarten, dass sich mit der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts ab Januar 2022 die Wettbewerbslage auf dem Apothekenmarkt grundlegend zugunsten des Versandhandels verändern wird. Die Digitalisierung der Einlösung von Verordnungen fördert ganz besonders Online-Käufe und durch die Einbindung von Empfehlungen für ergänzende Produkte – sog. Cross-Selling – werden die Umsätze des Versandhandels weiter steigen.

Vergütung neuer Dienstleistungen, Einführung einer Botendienstpauschale, Ausgabestationen – wesentliche Neuregelungen für die öffentlichen Präsenz- und Versandapotheken

Mit § 129 Abs. 5e SGB V n. F. wird die Vergütung pharmazeutischer Dienstleistungen, die über die bisherige Beratung nach § 20 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) hinausgehen, eingeführt. Hierunter sind nach der neuen Regelung Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Therapie zu verstehen.

Die Neuregelung sieht einen nicht abschließenden Katalog möglicher Anwendungsbereiche vor: die Anwendung bestimmter Wirkstoffe, die nur in besonderen Therapiesituationen verordnet werden; die Behandlung von Patienten mit chronischen schwerwiegenden Erkrankungen oder mit Mehrfacherkrankungen und Mehrfachmedikation sowie die Behandlung bestimmter Patientengruppen, die besondere Aufmerksamkeit und fachliche Unterstützung bei der Arzneimitteltherapie benötigen. In § 129 Abs. 5e S. 3 SGB V sind auch Maßnahmen der Apotheken zur Vermeidung von Krankheiten und deren Verschlimmerung genannt. Es soll insbesondere die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigt werden. Die Bestimmung der konkreten Dienstleistungen soll dem Dachverband der Apotheker (DAV) und dem GKV-Spitzenverband obliegen.

Zudem wird eine Botendienstpauschale eingeführt. Nach § 129 Abs. 5g SGB V können Apotheken bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen zusätzlichen Zuschlag in Höhe von 2,50 € zuzüglich Umsatzsteuer erheben. Die Regelung löst ab 1. Januar 2021 die im Rahmen der SARS-CoV-2-Arzneimittelverschreibungsverordnung übergangsweise geschaffene Pauschale von ebenfalls 2,50 € ab.

Schließlich hat der Gesetzgeber weitgehend unbemerkt mit dem neu eingeführten § 17 Abs. 1b ApBetrO die Anforderungen an die Nutzung von automatisierten Ausgabestationen konkretisiert. Im Vorfeld hatte hat das Landgericht Mosbach im Jahr 2017 der ausländischen Versandapotheke DocMorris den Betrieb von selbstständigen Arzneimittelautomaten untersagt. Die Ausgabestationen für Arzneimittel sind nunmehr eingeschränkt innerhalb der Betriebsräume der Offizinapotheken einsetzbar, wenn eine Beratung des Kunden, Prüfung der Verordnung und Bestellung im Vorfeld bei der Apotheke erfolgt ist. Anschließend darf erst die Bestückung der Ausgabestation erfolgen. Die Versandapotheken können unter Beachtung der Vorgaben des § 17 Abs. 1b Nr. 1 bis 3 ApBetrO auch frei stehende Stationen betreiben.

Was zu tun ist und wie wir Ihnen dabei helfen können

Mit den Neuregelungen stellt der deutsche Gesetzgeber sowohl Präsenzapotheken als auch Versandapotheken vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig werden neuen Tätigkeitsfelder und Vergütungsmöglichkeiten geschaffen.

Der Versand von Arzneimitteln ist für Präsenz- und „Online-Apotheken“ mit zahlreichen Fragestellungen verbunden. Diese reichen von klassischen E-Commerce-Themen wie Widerrufsrechten, Haftungsfragen und erforderliche Angaben zu Arzneimitteln über werbe- und wettbewerbsrechtlichen Themen, Folgen von Verzögerungen und Lieferschäden bis hin zu komplexen regulatorischen Problemen nach dem Gesetz über das Apothekenwesen (Apothekengesetz – ApoG), der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und der Verordnung zur Regelung der Abgabe von Medizinprodukten (Medizinprodukte-Abgabeverordnung – MPAV).

Autor*innen:

Sebastian Cornelius Retter

Rechtsanwalt | Salary Partner
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht

Anika Klisa

Rechtsanwältin | Associate

   

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 1-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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