Koalitionsvertrag: die geplanten arbeitsrechtlichen Änderungen im Überblick
Kein Recht auf Homeoffice, jedoch Erörterungsanspruch der Arbeitnehmenden
Die Homeoffice-Tätigkeit soll als Möglichkeit der mobilen Arbeit von der Telearbeit und somit dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung, welche umfassende Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz enthält, ausgenommen werden. Beschäftigte, die Homeoffice-geeignete Tätigkeiten wahrnehmen, erhalten jedoch einen Erörterungsanspruch. Arbeitgeber sollen dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Abweichende betriebliche oder tarifvertragliche Regelungen sind möglich.
Arbeitszeit
Die Koalition will an einer Arbeitszeit von grundsätzlich acht Stunden täglich festhalten. Um Wünsche bzgl. einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung aufzugreifen, soll aber schon im kommenden Jahr eine befristete Regelung geschaffen werden, die über Tarifverträge eine Abweichung von dieser Regel ermöglichen wird. Auch die bisher erlaubte Höchstarbeitszeit von vorübergehend bis zu zehn Stunden steht im Rahmen eines „Experimentierraums“ zur Disposition. Die Ampel möchte somit trotz des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 – C-55/18 –, betreffend die Pflicht zur Einrichtung eines Systems zur Aufzeichnung der Arbeitszeit, flexible Arbeitszeitmodelle, z. B. die sog. Vertrauensarbeitszeit, zukünftig weiterhin ermöglichen. Die Details sind bislang offen.
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns und der Minijob-Grenze
Der Mindestlohn soll in einem Schritt auf 12 € pro Stunde erhöht werden. Ab wann dieser gelten soll, ist derzeit noch unklar.
Es ist beabsichtigt, die Minijob-Grenze, orientiert an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden, auf 520 € anzuheben.
Einschränkung der Befristungsmöglichkeiten
Sachgrundbefristungen sollen zur Vermeidung von Kettenbefristungen bei demselben Arbeitgeber auf sechs Jahre begrenzt werden. Ausnahmen sollen nur in engen Grenzen möglich sein. Zudem ist damit zu rechnen, dass die Möglichkeit der Befristung wegen begrenzter Finanzierung aus Haushaltsmitteln aufgehoben wird.
Änderungen zur Mitbestimmung
Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung soll künftig als Offizialdelikt eingestuft werden, d. h., die Behinderung würde künftig eine Straftat darstellen, die von Amts wegen zu verfolgen wäre. Weiter hat die Koalition Änderungen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung geplant. Zunächst will sie der vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften entgegenwirken. Derzeit darf vom bestehenden Mitbestimmungsniveau (z. B. nach DrittelbG) nach der Umwandlung in die SE nicht abgewichen werden (Einfriereffekt).
Ferner will die Bundesregierung die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz, die für die Klärung der Anwendbarkeit des Gesetzes relevant ist, auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt. Die Geltung der jeweiligen Gesetze richtet sich insbesondere nach der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmenden (paritätische Mitbestimmung im obligatorischen Aufsichtsrat gem. MitbestG bei mehr als 2.000 Arbeitnehmenden, drittelparitätische Mitbestimmung nach dem DrittelbG bei mehr als 500 Arbeitnehmenden). Bei Konzernstrukturen gelten für die Anwendung des MitbestG auf das herrschende Unternehmen (gem. § 18 Abs. 1 AktG) die Arbeitnehmenden der Konzernunternehmen als Arbeitnehmende des herrschenden Unternehmens. Die entsprechenden bisherigen Regelungen des DrittelbG stellen an die Zurechnung der Arbeitnehmenden der Beteiligungsunternehmen weit höhere Anforderungen. Nach heutiger Gesetzeslage sind diese lediglich dann zuzurechnen, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht oder das abhängige Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist.
Von der beabsichtigten Gesetzesänderung sind daher grundsätzlich alle Unternehmen betroffen, welche die Voraussetzungen eines Konzerns i. S. d. AktG erfüllen und regelmäßig in sämtlichen konzernangehörigen Unternehmen mehr als 500 und weniger als 2.000 Arbeitnehmende beschäftigen. Unklar ist, ob bzw. in welchem Ausmaß es Übergangsregelungen, z. B. aufgrund eines bestehenden Vertrauensschutzes, geben wird.
Digitale Betriebsratssitzungen und -wahlen
Die in der Coronapandemie durch § 129 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) eingeführte befristete Option, Sitzungen des Betriebsrates und Betriebsversammlungen virtuell durchzuführen, soll nun dauerhaft bestehen. Nach den Vorstellungen der Koalition sollen die Betriebsräte selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten.
Bereits das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht die dauerhafte Möglichkeit der virtuellen Betriebsratssitzungen vor, enthält jedoch ein Vorrangprinzip zugunsten von Präsenzsitzungen. Diesen Grundsatz scheint die Koalition aufheben zu wollen. Auch Betriebsratswahlen, die kommendes Jahr turnusmäßig anstehen, sollen zunächst im Rahmen eines Pilotprojekts online abgehalten werden können. Es bleibt abzuwarten, wie die konkreten Regelungen hierzu aussehen werden und ob sie rechtzeitig vor Beginn der Wahlverfahren ab dem 1. März 2022 auf den Weg gebracht werden.
Digitaler Zugang für Gewerkschaften
Auch die Gewerkschaften wurden im Hinblick auf die Einräumung von mehr virtuellen Rechten im Koalitionsvertrag bedacht. Diese sollen ein „zeitgemäßes“ Recht auf digitalen Zugang in die Betriebe erhalten. Hintergrund der beabsichtigten Änderungen ist, dass die Zugangsrechte der flexiblen, digitalen Arbeitswelt angepasst werden sollen. Arbeiten Beschäftigte mobil oder im Homeoffice, ist der Zugang durch klassische Wege wie durch Aushang von Informationen am Schwarzen Brett im Unternehmen erschwert.
Das allgemeine Zugangsrecht der Gewerkschaften wird aus dem Koalitionsrecht, d. h. aus Art. 9 Grundgesetz (GG) abgeleitet. Zudem gewährt § 2 Abs. 2 BetrVG der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ein betriebsverfassungsrechtliches Zugangsrecht zur Wahrnehmung der im BetrVG genannten Aufgaben und Befugnisse. Nicht klar ist, ob die Koalition beide Zugangsrechte anspricht.
Weiter heißt es im Koalitionsvertrag, dass der digitale Zugang den bestehenden analogen Rechten der Gewerkschaften entsprechen soll. Da sich ein physischer Zugang zum Betrieb bzw. vielmehr zur Betriebsstätte in ihrer physisch vorhandenen Form und die sich dadurch ergebenden Möglichkeiten der Ansprache der Beschäftigten grundlegend von einem digitalen Zugang zum Betrieb – oder besser zu den Beschäftigten – unterscheidet, erscheint eine Analogie regelungsbedürftig. Umfang und Ausgestaltung des Zugangsrechts sind daher offen. Es kann grundsätzlich von einem digitalen „Aushang am Schwarzen Brett“ im betrieblichen Intranet, über den Zugriff auf durch den Arbeitgeber bereitgestellte Kollaborationstools bis hin zur Verfügungstellung von E-Mail-Adressen der Arbeitnehmenden reichen. Jedenfalls der letztere Punkt dürfte von einer Analogie nicht erfasst sein.
Hinsichtlich der Gestaltung der Häufigkeit, des Umfangs und Inhalts der Zugangsrechte sind die berechtigten Interessen des Arbeitgebers, z. B. an einem ungestörten Betriebsablauf, zu beachten. Zudem ergeben sich Einschränkungen unter den Aspekten der Datensicherheit, des Datenschutzes sowie der negativen Koalitionsfreiheit. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, inwieweit die regelungsbedürftigen Punkte und Grenzen Niederschlag im Gesetzgebungsverfahren finden, oder ob es Sache der Sozialpartner sein wird, Lösungsansätze zu erarbeiten und zu vereinbaren.
Sonstiges
Im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung kündigt die Ampel an, einen Änderungsbedarf unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsprechung und der Gesetzesevaluierung zu prüfen. Strukturelle und systematische Verstöße gegen das Arbeitsrecht und den Arbeitsschutz sollen durch eine effektivere Rechtsdurchsetzung verhindert werden. Maßnahmen zum Zwecke der Tarifflucht, bei Ausgliederungen unter Beibehaltung der Identität des Eigentümers, sollen verhindert werden. Zur Stärkung der Tarifbindung soll die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung repräsentativer Branchentarifverträge gebunden werden.
Es tut sich was
Die Vorhaben der Ampelkoalition können im Bereich des Arbeitsrechts insgesamt als ambitioniert bezeichnet werden, wenngleich viele Details noch ungeklärt sind. Jedenfalls lässt sich jetzt schon sagen, dass für SE-Gestaltungen sowie für Konzernstrukturen mit zwischen 500 und 2.000 regelmäßig Beschäftigten gravierende mitbestimmungsrechtliche Änderungen zu erwarten sind, auf die sich die Unternehmen frühzeitig einstellen und bei welchen sie die sich bietenden Handlungsoptionen klären sollten.
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Autorin
Marion Plesch
Tel: +49 30 208 88 1146
Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.