Berichtspflichten bescheren Forensiker*innen neue Aufgaben
Forensik bedeutet heute mehr als die Aufklärung von Korruptions- und Betrugsfällen. Immer häufiger ermitteln die Expert*innen auch bei Verstößen gegen ESG-Vorgaben. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der Ausweitung der verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wie hängen die beiden Themen zusammen?
Korruption, Betrug, Untreue und Bilanzmanipulationen – Delikte aus der Wirtschafts- und Finanzkriminalität sind das klassische Tätigkeitsfeld von Forensiker*innen. Es hat zudem seinen guten Grund, dass gerade Wirtschaftsprüfungsgesellschaften große Forensik-Teams unterhalten. So ziehen auch Abschlussprüfer*innen die „Internal Investigators“ immer wieder bei der Planung von Jahresabschlussprüfungen hinzu. Das Ziel hierbei: die Analyse und Darstellung des sogenannten Fraud-Risikos des Unternehmens. Je nach Analyseergebnis fließen die Erkenntnisse der Forensiker*innen in die Ausgestaltung der Abschlussprüfung ein. Zudem sensibilisieren sie die Prüfer*innen, während des Audits auf bestimmte Risiko-Indikatoren zu achten, die auf eine Fraud-Problematik hinweisen können.
Neben diesen traditionellen Aufgabenbereichen bringen Forensiker*innen ihre Kenntnisse aktuell aber auch in einem ganz neuen Umfeld ein: Bei der Analyse und Aufklärung von Verstößen gegen ESG-Regularien. Umweltdelikte und arbeitsrechtliche Aspekte wie Mobbing und Diskriminierung rücken immer mehr in den Fokus der internen Ermittler. Grund hierfür ist nicht zuletzt die Ausweitung der Berichtspflichten von Unternehmen zu Nachhaltigkeitsthemen. So sehen sowohl das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) als auch sein europäisches Pendant vor, dass verpflichtete Unternehmen eingegangene Hinweise zu ESG-Regelverletzungen und festgestellte Verstöße offenlegen müssen. Auch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verlangt, entsprechende Missstände in den Nachhaltigkeitsberichten zu berücksichtigen.
Druck auf Unternehmen wächst durch Medien und Reporting-Pflichten
Die Offenlegungspflichten setzen die Unternehmen unter einen erhöhten Handlungsdruck. Zum einen, weil die verschiedenen Regularien selbst eine Aufklärung von Zuwiderhandlungen gegen ESG-Grundsätze einfordern. Zum anderen, weil es ein hohes öffentliches Interesse an diesem Thema gibt – nicht zuletzt befördert durch eine verstärkte mediale Berichterstattung. Somit bringen Verfehlungen im ESG-Umfeld beziehungswese deren unzureichende Untersuchung und Nachverfolgung Reputationsrisiken für die Unternehmen mit sich, die sich letztlich auch negativ auf den Umsatz auswirken können. Zudem droht das entsprechende Unternehmen an Attraktivität als Arbeitgeber einzubüßen – ein ebenfalls ungünstiges Szenario bei dem aktuellen Wettbewerb um rare Fachkräfte.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der den Druck auf die Unternehmen zusätzlich erhöht: Das Hinweisgeberschutzgesetz, das hierzulande vor etwa einem Jahr in Kraft getreten ist, richtet sich speziell an Mitarbeiter*innen in Unternehmen und Behörden, die Missstände und Rechtsverstöße melden wollen. Die vorgesehenen Meldestellen haben die Aufgabe, den Schutz der Whistleblower sicherzustellen, und sollen auch anonym eingehende Hinweise bearbeiten. Wie zu erwarten war, zeigt sich in der Praxis bereits eine steigende Zahl eingehender Meldungen – mit zunehmendem Bezug zu potenziellen Verletzungen von Umwelt- und Sozialnormen durch die Unternehmen.
Die Vorgaben zu den Berichtspflichten und der Schutz von Hinweisgeber*innen haben eine Entwicklung entfacht, die durchaus im Sinne des Gesetzgebers und der Aufsichtsbehörden ist: Immer mehr Unternehmen bereiten sich darauf vor, möglichen Hinweisen zu ESG-Verstößen im eigenen Geschäftsbetrieb und ihrer Lieferkette nachzugehen. Um eine schnelle Identifizierung und sorgfältige Analyse der Verdachtsfälle sicherzustellen, setzen viele Unternehmen dabei auf die Unterstützung von Forensiker*innen. Zu den Kompetenzen der Expert*innen gehören spezielle Interviewtechniken bei der Befragung von Mitarbeiter*innen, IT-gestützte Methoden zur Sicherung und Auswertung von E-Mail-Kommunikation oder Buchhaltungsdaten wie auch sogenannte Open Source Recherchen zur Informationsgewinnung aus öffentlich verfügbaren Quellen. Forensiker*innen, die sich auf die Aufklärung von Verdachtsfällen mit ESG-Problematik fokussieren, arbeiten zudem eng mit Umwelt- und Arbeitsrechtexperten zusammen.
Einsatz von Forensiker*innen macht Sinn für Unternehmen
Die zunehmende Verpflichtung der Unternehmen, nicht nur über finanzielle, sondern auch über soziale und ökologische Themen zu berichten, hat eine unvorhergesehene Dynamik ausgelöst. Nicht nur Wirtschaftsprüfer*innen fallen neue Aufgaben zu, indem sie das Audit der CSRD-Nachhaltigkeitsberichte übernehmen. Durch den wachsenden Bedarf an der Aufklärung potenzieller Regelverstöße in den Dimensionen Umwelt, Soziales und Governance erweitern auch Forensiker*innen ihr Tätigkeitsportfolio. Dass einige Unternehmen gezielt auf die forensischen Expert*innen setzen, um die Erfüllung ihrer Offenlegungspflichten abzusichern und Reputationsschäden abzuwenden, ist nicht nur aus unternehmerischer Sicht nachvollziehbar und sinnvoll. Es trägt auch dazu bei, soziale und ökologische Ziele ernst zu nehmen und die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit insgesamt zu begleiten.
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